Kapitel 1

 

Unsere Geschichte beginnt in den Ländern Krynns in einer belebten Stadt namens Hylo. Würde man versuchen sie zu beschreiben .. man könnte es nicht. Als Wohnort und Hauptstadt des Kendervolks durchläuft sie, eingebunden durch deren Kreativität, eine ständige Veränderung jeglicher Gebäude und Instanzen. Ist man erst einmal fort, wird man bei seiner Rückkehr wahrscheinlich nicht mehr vorfinden, als ein verzerrtes Abbild des damaligen Grundrisses.

 Und genau hier, am Rande der Stadt, in dem großen Haus neben dem Kartoffelfeld, erblickte vor gerade neunzehn Sommern Filly Federfuß das Licht der Welt. Geboren von Timea und Pippo, dem damaligen Bürgermeister. Hierbei ist zu erwähnen, dass dieser Stellung keine große Bedeutung zugemessen werden sollte. Denn ist man einmal Bürgermeister von Hylo, kann schon am nächsten Tag ein anderer sich diesen Posten ertauscht und am übernächsten Morgen weitergegeben haben.

  

So wuchs die kleine Filly glücklich und behütet, mit den besten (von ihrem Vater) selbstgemachten Kartoffelkuchen der Stadt auf. Da Kender lediglich alle zwanzig Jahre ein Kind bekommen können, genoss sie die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Eltern, der Großmutter, Tanten, Onkels und den Verwandten des nächsten und übernächsten Grades (sofern diese noch lebten). Sie verbrachte ihre Kindheit damit, jeden Tag neue Herausforderungen zu suchen, Ideen zu entwickeln und diese in die Tat umzusetzen. Gesellschaft hatte Filly reichlich, doch wollten die Kaninchen auf dem Feld nicht so recht mit ihr reden und nach einiger Zeit gab sie es auf.

 

Je älter die junge Kenderin wurde, desto stärker reifte ein Gefühl in ihr heran, welches sie kaum zu deuten vermochte. Sie begann sich nach neuen Weiten zu sehnen. Was mochte sich hinter dem Horizont verbergen? Ging es dort weiter? Mit Feuereifer entstand eine Landkarte nach der anderen, doch keine konnte ihren Wunsch in Worte fassen und ihr geben wonach sie suchte. Von ihrem Gefühl getrieben, entschloss Filly schließlich selbst nachzusehen und somit ihre Eltern und ihr vertrautes Heim zu verlassen.

 

So verabschiedete sie sich mit 18 Sommern von ihrer Verwandtschaft und zog , mit ein paar Habseligkeiten bepackt, aus um die Welt zu entdecken und herauszufinden was sie hinter dem Horizont erwarten würde.

Was sie dort erleben sollte, würde gewaltiger und aufregender sein, als sie in ihren kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hatte.

 

Tage über Tage vergingen, während Filly über Berge und Täler spazierte und sich an ihrer neu gewonnenen Freiheit und Selbstständigkeit erfreute.

 Morgens genoss sie die ersten verzagten Sonnenstrahlen die durch das Blattwerk blitzten, als hätte der Wald selbst das flüssige Gold eines ihr unerreichbaren Schatzes beherbergt. Und als der Regen am folgenden Tage die Blätter durchtränkte, sprang sie in die vom Wasser gebildeten Lachen, um die abperlenden Tropfen auf ihrer Haut zu beobachten. Die Vögel zwitscherten und jeder unbekannte neue Baumstumpf, jeder neue und sei er auch noch so unbedeutende Trampelpfad musste erkundet werden.

 Es gab so viel zu entdecken und es hätte immer so weiter gehen können, wäre Filly nur auf die Idee gekommen in einem Gasthaus statt in dem dunklen Wald zu übernachten. Doch da Kender für gewöhnlich keine Furcht verspüren, wollte sie dort bleiben, um im Morgengrauen das erste flüssige Gold einzufangen.

 So ergab sich eines zum anderen und die von den tagsüber neuen Erfahrungen erschöpfte Kenderin zog sich in eine bequeme Baumnische zurück und schlief schon fast augenblicklich ein.

 

Die milchigen grauen Nebelschwaden, die in der Dämmerung der Nacht unaufhaltsam näherkamen und sie wie eine Kralle umfassten, um sie im selben Moment wie ein nasses, klammes vom Wind versteiftes Tuch zu umwickeln, bemerkte sie schon nicht mehr.

 Der Frost fuhr Filly durch die Glieder.

 Verzagt öffnete sie die Augen und blinzelte mit ihren Wimpern die herunter fallenden Eiskristalle hinfort. Abrupt sprang sie auf.

 Erst jetzt erblickte sie die schneeweißen Hügel, die sich um sie herum erstreckten. Wie vereinzelte Zuckerhüte ragten riesige Tannen in den Himmel empor.

Einen kurzen Moment hielt die junge Kenderin inne, während ihr bewusst wurde dass sie womöglich den ganzen Sommer verschlafen hatte.

 Doch als die Sonne zwischen den Wolken hervor brach und den gefallenen Schnee in eine wahres Lichtermeer verwandelte, vergaß Sie fast augenblicklich alle Sorgen und vollführte jauchzend einen Freudentanz. Gebannt von der großen Anzahl der Flocken, versuchte sie jede einzelne mit ihrer Zungenspitze einzufangen. Dies Unterfangen endete jedoch mit einem von den vielen Drehungen schwindelig gewordenen am Boden liegenden Kender.

 

Und jetzt bemerkte Filly wie sehr sich die Umgebung verändert hatte. Nichts kam ihr mehr bekannt vor und als sie kurze Zeit später den nächsten Weg erreichte, gelangte sie zu einem großen aus Stein gebauten Turm.

 Da es sie so langsam ein wenig fröstelte und ihre Nase vor Neugierde doch schon beträchtlich zu jucken begann, ergriff die Kenderin kurzerhand den von der Kälte gefrorenen Eisenring und ließ ihn dreimal dumpf gegen das Tor schlagen.

Schlurfende Schritte ertönten, während das Tor sich quietschend und ächzend öffnete.

 Einen kleinen Moment wartete sie.

Dann steckte Filly mutig den Kopf durch den engen Türspalt und blickte geradewegs in zwei kristallklare blaue Augen.

 

Von deren Tiefe fasziniert, schweiften die Gedanken der Kenderin zurück zu dem wundeschönen wolkenlosen Himmel über Hylo. Während Sie noch darüber sinnierte welches blau nun den schöneren Farbton haben mochte, packten zwei zierliche Hände ihren Kopf und zogen sie gerade noch rechtzeitig durch den Spalt, bevor das schwere Holztor mit einem dumpfen Geräusch zuschlug und die weiße Schneedecke dahinter verschwinden ließ.

 „Seht ihr, hatte ich nicht Recht behalten? Es sind keine Angreifer… oder sieht sie etwa aus wie ein Angreifer? Ihr dürft nicht hinter allem gleich das Schlimmste vermuten!“

 Verwundert musterte Filly die zierliche Person die sich so rigoros vor einer Gruppe von Menschen aufgebaut hatte und das Wunderwerk vollbrachte, einen Wasserfall von Wörtern in einem unermesslichen Tempo hervorzubringen.

Während sie sprach, flog ihr blonder langer Pferdeschwanz von einer Seite zur andern und kleine spitze Ohren kamen unter den einzeln herausgelösten Haarsträhnen zum Vorschein.

Als sie sich dann schließlich der Schnelle ihrer Worte würdig, abrupt umdrehte und sich freundlich als Thalia vorstellte, entlockte sie Filly ein breites Grinsen.

Wer hätte gedacht, dass sie kaum von zu Hause entfernt, auf etwas ihr wohlbekanntes stoßen würde. Eine weitere Kenderin.

 

Dies war der Anbeginn einer tiefen Freundschaft und beide hatten nicht den Hauch eines Schimmers durch welche Höhen und Tiefen sie noch gemeinsam gehen sollten.

 

Es vergingen Tage und Wochen bis Filly sich in dem kleinen Grenzposten namens Anderwacht zurechtfand und jegliche Karten, Wachpläne und Essensvorräte studiert hatte. Der triste Alltag wurde gewöhnlich mit kleinen Handgemengen aufgrund von auf mysteriöser Art verschwundener Papiere, Federkielen oder farbiger Tinte, erfrischt. Doch dies ist hier natürlich nicht weiter von Belang.

 

So begab es sich eines schönen Wintertages, dass der Wachposten der laut Wachplan eigentlich Dienst hatte, verschlief. Die beiden Freundinnen hatten Mitleid mit ihm, ließen ihn schlafen und beschlossen, somit an seiner statt durch den Ausguck zu blicken und den Grenzposten vor jedweder Gefahr zu schützen.

Anfangs noch motiviert, konnte man den Kendern mit jeder dahin kriechenden Minute die steigende Langeweile und Lustlosigkeit ansehen.

Um die Verantwortung abzuschieben, ließen sie eine im Wind stehende rote Fahne als Wachdienst da. Sollte diese doch aufpassen. Ihr würde nicht langweilig werden und sie würde an Ort und Stelle stehen bleiben. Thalia reckte vor Stolz über ihren brillanten Einfall die Nase hoch in die Luft und marschierte hoch erhobenen Hauptes voran zur Tür hinaus. Um sich jedoch nicht ganz unnütz zu machen, beschlossen die beiden draußen aufzupassen.

 

Gemeinsam spazierten sie los. Wie sollte man denn eine Gefahr erkennen können und die Bewohner warnen, wenn man nicht wusste wovor man sich fürchten sollte? Und wo könnte man besser lernen sich vor der Gefahr zu hüten, als in der Nähe ihrer selbst. Das Unterholz knackte, während die beiden plaudernd ihre Patrollie durch die schneeweiße Winterlandschaft fortsetzten. Gerade, als sie das an den Turm angrenzende Waldstück als sicheres Gebiet eingestuft hatten, fiel Fillys Blick auf etwas Ungewöhnliches. Etwas störendes, was eigentlich nicht dorthin gehörte. Thalia ging etwas näher, wischte mit der Hand zärtlich über einen Baumstamm und zog diese ruckartig zurück. Was eben noch wie ein vereinzeltes seltsam gemaltes Zeichen gewirkt hatte, färbte sich in ihren kleinen Händen blutrot.

 Das laute „Upps“, dass Fillys Lippen entfuhr verstummte, angesichts der trockenen Stimmen in ihrem Rücken. Während die Kenderin noch über den kürzesten Ausweg aus dieser Situation sinnierte und doch angeblich für alles eine Lösung zu haben schien, zog sich der Kreis der Gefahr rapide und unaufhaltsam zusammen. Was wollten sie? Ein Opfer? Einen kurzen Moment lachte sie auf. Thalia blickte sie entgeistert an. Woher sollten sie denn jetzt auf einmal ein Opfer hernehmen? Filly mochte zwar einiges in ihren Taschen haben und manches wohlweislich nicht rechtlich erworben, aber ein Opfer hatte sie noch nie besessen.

Thalia, die in diesem Moment den Fehler eindeutig schneller erkannte, versuchte die Leute einzuschüchtern. Mit schneller Stimme sprach sie auf sie ein und fing nach kurzer Zeit an zu schreien. Sie schien keinen Erfolg zu haben. Dicht zusammengedrängt versuchten die beiden Freundinnen sich gegen die weitaus größere Anzahl an großen und starken Menschen zu behaupten. Doch ihre Versuche blieben erfolglos.

Viele Arme packten Filly und zerrten sie fort. Fort von Thalia. Sie verstand nicht warum.

Konnte das schon das Ende sein? Hatte ihr Abenteuer nicht gerade erst begonnen? Die Kenderin begann zu schreien. Zu Kratzen und zu beißen und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Übermacht. Da packte sie einer der Männer und warf sie sich grob über die Schulter.

In diesem Moment hasste sie es klein zu sein. Klein und unbedeutend, ohne einen winzigen Funken Hoffnung dieser Unverfrorenheit entgegen wirken zu können.

Die Schreie Thalias verhallten in ihrem Kopf, während Filly merkte wie ihre Glieder müde und träge wurden.

Fast, als wäre jeder einzelne Knochen zusammengeklebt. Klebrig, wie Honig.

Einen kurzen Moment später verschwamm ihre Sicht und ihre Augen schlugen ein letztes Mal die Wimpern nieder.

 

Dunkelheit.

Schemenhafte Gestalten.

Von Rauch gewoben und in den Schatten zerstoben, schienen sie in die Unendlichkeit zu tanzen.

Mit jedem einzelnen Hauch der Veränderung umwandelten sie ihre Erscheinung und beschworen eine anmutende traumhafte Vollkommenheit herauf.

Glühende Lichter erhellten bei jeder Bewegung das Dunkel und fanden gleichzeitig ihre Bestimmung an einem Platz, der das Herz dieser Wesen vermuten ließ.

Miteinander vereint bildeten sie ein riesiges Lichtermeer, welches schöner war als alles was Filly je gesehen hatte.

 

Natürlich lag der jungen Kenderin nichts ferner als diese Perfektion zu Grunde zu richten, doch von den Rauchschwaden in die Mitte genommen tanzte sie mit ihnen, während sie tiefer und tiefer in den Zauber gewoben wurde, der entschieden begann ein neues Lied zu flechten.

 Eine sanfte Musik ließ eine Melodie von Geborgenheit und Freude ertönen, welcher sich Filly ganz hingab.

Schon nach kurzer Zeit hatte der Gesang sie fest im Griff, während er begann sie zu umschlingen, wie eine Spinne, die ihre Beute sanft in einem Kokon umwickelt um daraufhin das Leben auszusaugen.

 Doch etwas begann die harmonische Idylle zu durchbrechen.

Konnte dieser Makel in der Vollendung nicht verschwinden?

In ihrem Geiste versuchte Filly jegliche Störgeräusche auszuschalten und wieder der lockenden Melodie zu folgen. Gleichwohl schwoll die Unstimmigkeit zu einer undefinierbaren Geräuschkulisse heran.

Hin und hergerissen presste sie sich die Hände auf die Ohren. Diese Zwiespältigkeit brachte sie um den Verstand! Ihr Kopf dröhnte und ihr Innerstes schien auseinanderzureißen.

Ihr Herz pochte um sein Leben, während es versuchte sich von den klebrigen einlullenden Fäden zu lösen. Wenn sie doch nur endlich ihre Ruhe hätte!

 

Stille.

Langsam öffnete sie die Augen.

 

Blutrot. Der weiße Schnee.

Leere.

 

Und dann begann der Schmerz.

 

Überall.

Er durchbohrte sie, wühlte in ihrem Inneren, um dann als zerrütteter Schrei in der kalten Winterluft in einem Hauch zu verblassen. Mit jedem Ton der ihren Lippen entfuhr, wich die Hoffnung und machte einer gähnenden Leere Platz. Worte drangen an ihr Ohr. Fremde, nicht einzuordnende Worte. Filly drehte den Kopf zur Seite und erschrak so heftig, dass man für einen kurzen Augenblick so etwas wie Angst in ihrem Blick vermuten konnte.

Ihr Arm war der Länge nach aufgeschlitzt worden, der Schnee blutrot gefärbt. Etwas weißes knochenähliches ragte aus der Wunde empor und drehte Filly den Magen um. Sie musste sehr viel Blut verloren haben. Rote Schlieren zogen sich durch die weißen Eiskristalle und endeten an einem steinernen Altar.

Bei ihr.

Tief eingeritzt, in eine von Jahrhunderten zerrüttete Steinplatte, schienen die Buchstaben der sich füllenden roten Lache eine Bestimmung zu geben. Das fremde Gemurmel wurde lauter. Etwas Unsichtbares zog an ihr.

Schmerzen. Und doch lockte Es in etwas Neues. Etwas Unbekanntes. Und doch so Verzehrendes.

Wie konnte etwas gleichzeitig so anziehend und doch so leer wirken? Eine Macht ausstrahlen. Der Weg durch Dunkelheit zur Vollkommenheit.

Bilder von unsäglicher Schönheit entstanden. Filly als Bürgermeisterin, von allen geliebt, als stolze Herrscherin von ganz Hylo. Stark war sie, groß und mächtig. Fähig alle zu leiten.

 

Da war es. Das Wesen aus ihrem Traum. Durch Nebelschwaden nahm es Gestalt an. Beine wie eine Spinne, Hörner wie ein Ochse. So etwas hatte die Kenderin niemals zuvor gesehn. Langsam kam es näher. Leichtfüßig über den Boden tänzelnd. Die Beine flink, eins vor den andern setzend. Dann trafen sich ihre Blicke. Filly gefror das Blut in den Adern.

Es gab keine Augen. Nur Hass. Panik stieg in ihr auf. Unfähig sich zu bewegen, registrierte sie jeden einzelnen Schritt. Das hier war nicht der Tod, das letzte große Abenteuer. Sondern etwas anderes. Schlimmeres. Gähnende Leere.

 

In diesem Moment durchbrach Thalia das Band und holte Filly in die Wirklichkeit zurück. Mit glänzenden Augen, die Arme zum Schutz von sich gestreckt und unbewegter Miene, stellte sie sich zwischen Filly und das Geheuer.

Bereit, alles zu verteidigen.

 

„Wenn du Filly willst, dann musst du erst an mir vorbei!“ Ihre Stimme stockte.

Die Hände zitternd zum Schutz erhoben, hielt sie dem Blick des Ungeheuers stand. Hasserfüllt bohrten sich die großen Knopfaugen in Thalias Herz, eine Leere ausbreitend, die ihren Kopf in ein Eismeer verwandelte. Dann brach sie in die Knie.

Filly, immer noch unfähig sich zu bewegen, konnte den Anblick nicht mehr ertragen. Es zersplitterte ihr das Herz, Thalia so zu sehen. Die Wangen tränenüberströmt, schloss sie die Lider.

 In diesem Moment ergriff die Kenderin ihre Hand. Fest entschlossen, als würde ihrer beider Mut dem Ungeheuer entgegen wirken können, hob Thalia den Blick.

Die wunderschönen blauen Augen starr nach vorne gerichtet, die Lippen bebend, flüsterte sie : „ Ich weiß nicht wer du bist, wo du herkommst oder was du willst. Aber Filly ist meine Freundin und du wirst ihr kein Haar mehr krümmen. Geht es nicht anders, so nimm mich. Doch lass sie gehen.“

 

Ein Pfeil durchborte das Ungeheuer. Heulend warf es vor Schmerz den Kopf in den Nacken. Den Körper aufbäumend, stob es zur Seite. Die Anderwacht war gekommen. Unsere Freunde. Sie hatten uns nicht im Stich gelassen. Nach kurzer Zeit war ein heftiger Kampf im Gange. Überall klirrten Schwerter. Menschen fielen in den Schnee. Es stank nach Blut. Ein surrender Pfeil verfehlte Thalia knapp, bohrte sich in eine schwarze Gestalt neben ihr. Die Schreie der Verletzten in den Ohren wiederhallend, wurden die beiden Kenderinnen gepackt und fortgebracht, weg von der Gefahr. Das Ungeheuer folgte ihnen. Den Kopf Filly zugewandt, übertönte sein grollendes Geschrei die Kampfgeräusche : „ Sie gehört mir ! Sie hat keine Wahl. Ich habe sie berührt!“ Schon umringten sechs Kämpfer das Biest und drängten es in eine andere Richtung. Meter für Meter weg von ihnen.

 

Die Kämpfe dauerten bis spät in die Nacht. Doch als der Sieg errungen war, freute sich keiner.

Denn der Anblick der zwei hoffnungslosen Kenderinnen, war den meisten unerträglich.

Es sollte seine Zeit dauern, bis die Freude wieder einkehrte und die Leere verschwand.

Denn die Zeit heilt alle Wunden.

So heißt es doch, oder? ..

 

Kapitel 2

 

Tage vergingen. Der Schnee begann zu schmelzen und die ersten Sonnenstrahlen spiegelten sich in den von den Dachrinnen herunter tropfenden Eiszapfen wieder. Eine einnehmende Stille erfüllte das Gebäude, als würde selbst die Unbefangenheit ihre Wunden lecken.

Tiefe Wasserlachen zogen sich über Feldwege, machten es den Menschen unmöglich in dem matschigen Schlamm ihre Karren vorwärts zu schieben. Der fehlende Besuch und die nur knapp vorhandenen Waren sorgten für eine gedrückte Stimmung.

 

Jede Nacht wurde Filly von unsäglichen Albträumen heimgesucht. Was sie in derart wirre Zustände versetzte, wird wohl niemals jemand erfahren und soll an dieser Stelle auch nicht weiter erwähnt werden.

Doch jedes Mal, wenn sie schweißgebadet hochschreckte, fand sie Thalia an ihrem Bett vor. Die traurigen großen blauen Augen ihr zugewendet, kühlte sie Nacht für Nacht die heiße Stirn der Kenderin .

 

Tagsüber gingen beide ihrer Wege. Filly verbrachte ihre Zeit neben dem großen steinernen Kamin. Man traf sie dort zu jeder Stunde an. Die Blicke in den züngelnden Flammen versunken, formten sich ab und zu einzelne Worte in ihrer Hand. Von unsichtbarer Kraft getrieben, ließ die Feder einzelne Tintenkleckse und Buchstaben in das Reisetagebuch der Kenderin sickern.

Filly schien es gar nicht wahrzunehmen.

Oder es interessierte sie nicht.

 

Thalia hingegen traf man meistens auf dem zugigen Aussichtsturm an. Den Blick fest in die Ferne gerichtet, den Pferdeschwanz durch den Wind peitschend konnte man meinen, sie wäre stärker als Filly und fähig das Geschehene zu überwinden.

 

Doch wenn man sie ansprach, entflossen ihr Worte, die von so großer Zerrüttung und Verletzung zeugten, sodass die Menschen sie allein ließen. In der Hoffnung, Thalia würde ihren Schmerz alleine besiegen, hielten sie sich von ihr fern. Denn die Traurigkeit eines Kenders greift über, wie eine Seuche und verpestet jeden, der ihr zu lange nahe war. So sind die Menschen. Einfach gestrickt und egoistisch. Nicht bereit Leid zu teilen oder zu erleichtern.

 

Ein unbekanntes Leuchten, ein einzelner Funke erklomm in ihren Augen. Unverhofft straffte sie die Schultern, drehte sich um und rannte die Treppe hinunter. Sie rutschte auf den klammen, nassen Steinstufen aus und purzelte in die warme Stube.

Unter den Blicken der verdutzten Menschen, richtete sie sich eilig auf, stürmte zum Kamin und baute sich vor der Kenderin auf.

Mit beiden Händen entriss sie ihr das Buch, packte einzelne Blätter und warf sie ins Feuer. Züngelnde Flammen zerfraßen Pergamentseiten mit Wörtern voller Verderben und Tod und ließen sie als gereinigte Asche auf den Boden schweben.

„Filly Federfuß, du wirst mir jetzt zuhören!“

Thalias Stimme war so bestimmt, dass Filly überrascht den Kopf hob.

„ Wir stehen das durch. Und zwar gemeinsam. Verflixt nochmal, wir haben hier Freunde! Wir sind nicht allein. Wir haben doch uns! Willst du dein ganzes Leben vor einem rauchigen stinkigen Kamin verbringen? Wo ist deine Abenteuerlust geblieben? Reiß dich gefälligst zusammen.“

 

Spricht man heute von dem Punkt, der die Kender wieder aufrichtete, so sagt man, war es die Freundschaft. Doch ferner war es ein vereinzeltes Klopfen an der schweren Holztür, das eine Person ankündigte, welche den Frühling brachte.

 

Die Tür schwang auf. Helligeit durchflutete die dunkle Stube und tauchte den Raum in ein warmes milchiges Licht. Sanft umspielte es den abgenutzten dreckigen Hausrat, brach sich in einem von Fettspuren gezeichneten Spiegel und offenbarte das Loch, indem die Bewohner der Anderwacht die letzten Wochen gehaust hatten. Von der Lichtfülle geblendet, kniff Thalia die Augen zusammen. Filly hingegen hielt sich mit der Einsicht, eine zusätzliche Sicherheit könne nicht schaden, obendrein die Hände vors Gesicht.

 

Einen kurzen Moment war es so still, dass man selbst eine einfache Nähnadel hätte hören können. Als wäre die Zeit angehalten worden, wagte kaum einer zu atmen.

Irgendwo kippte ein Bierkrug um. Lauthals sprang der Besitzer auf, übersäte sein Gegenüber mit wüsten Sprüchen und versuchte mit hochrotem Kopf die braune Brühe in seinem Schoß zu beseitigen.

Damit war der Bann gebrochen. Jeder wandte sich erneut der vorangegangen Tätigkeit zu, während das rauchige Gelächter der Männer sich mit dem lauten Geschrei und Gezwitscher der ersten Vorboten des Frühlings vermischte.

Langsam öffnete Filly einen kleinen Spalt zwischen den Fingern und riskierte einen Blick auf die schlanken Konturen einer schwarzen Silhouette. Einen Schritt sorgsam vor den anderen setzend, glitt sie aus dem Türrahmen.

 

Das freundliche Gesicht einer jungen Kenderin kam zum Vorschein. Die kastanienbraunen Augen schüchtern in der Gegend umherschweifend, strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Unvermittelt stürzte das Gänseblümchen, welches sich zuvor hinter ihrem linken Ohr befunden hatte, auf den Boden.

Gerade als das Mädchen sich bücken wollte, um diese ihr offentsichtlich wertvolle Blume aufzuheben, trat einer der Menschen unbedacht auf ihre Finger.

Mit einem tiefen Grunzen herrschte er sie an: „Hee…pass doch auf! Ihr Kendergesocks seid doch alle gleich. Immer auf der Suche nach was Wertvollem. Dafür kriechen se sogar auf dem Boden! Aber bei mir kriegt ihr nichts! Da habt ihr euch geschnitten…“

Lallend nach Alkohol verlangend, scheuchte er einige Gäste zur Seite, um sich an dem breiten Eichentisch niederlassen zu können. Das Gänseblümchen klebte fortan an seinem Schuhabsatz.

 

Filly und Thalia schüttelten verständnislos den Kopf. Diesen Rüpel von zweifelhaftem Ruf hatten sie nie liebgewonnen.

Hinter vorgehaltener Hand hieß es, er handle mit allem und jedem, habe sich ferner sogar einen Grafentitel erspielt.

Die beiden Kenderinnen schickten sich gerade an, dem Mädchen aufzuhelfen, als dieses unvermittelt unter dem Tisch abtauchte. Verblüfft beobachteten sie wie einzelne Menschen aufschrien, abtauchten oder sich an die Beine fassten.

Der Geräuschspur folgend, eilten die Beiden kurzerhand an das andere Ende der Tischplatte. Dort angekommen schob sich ein verschmitztes Gesicht unter dem schmierigen Tischtuch hervor. „ Leila Flüsterwind. Das ist mein Name. Ich…AU!“

 

Voreilig hatte sich das Mädchen den Kopf an der harten Tischkante gestoßen. Die vielen kleinen Beutel schwangen in alle Richtungen, als sie sich stöhnend erhob.

Noch etwas taumelnd, öffnete sie ihre kleinen Finger und betrachtete ihre sorgsam zu einer Kuhle geformten Handfläche. Darin kam ein leicht angedrücktes, doch größtenteils unversehrtes Gänseblümchen zum Vorschein.

Mit einem entschuldigenden Lächeln, schob sie es sich hinter das linke Ohr an seinen Platz zurück.

 

„Ich scheine mich wohl etwas verirrt zu haben“.

Unbeholfen zog die Kenderin die Augenbrauen nach oben, während ein aus Ton geformter Ohrring in fast schalkhafter Manier ihr Gesicht streifte. „Dabei wollte ich doch nur Blumen pflücken. Diese wunderschönen Feldblumen…“

Leilas Augen weiteten sich, als würde die Kenderin bereits Erlebtes sorgsam durchdenken. Ihre Stimme wurde schneller. „ Aber dann kam dieser erdrückende Nebel. Ganz kalt wurde mir dabei. Und jetzt ist auf einmal Frühling! Gerade eben war doch noch Herbst!“

Fassungslos schüttelte sie den Kopf, drehte den ockerfarbenen Ohrring langsam zwischen ihren schmalgliedrigen Fingern. Die zerstreuten Blicke in der Gegend umherschweifend, wurde sie mit einem Schlag puterrot.

Filly, die gerade ihren großen Lederrucksack auf den Tisch hievte und jegliche Arten von selbstgezeichneten oder erhandelten Landkarten, die zweifellos nicht mal sie selbst lesen konnte heraus kramte, hielt in der Bewegung inne. Mit leuchtenden Wangen drehte sich Leila auf dem Absatz um, hüpfte aus der Tür und verschwand außer Sichtweite. Kurz darauf erklang ein lautes Grummeln .

„Du brauchst keine Angst haben, ehrlich nicht. Ich habe schon alles für dich auskundschaftet, genauso wie du es gesagt hast!“ Leilas zarte Stimme wurde von einem weitaus lauteren Organ übertönt.

„ Ich und Angst haben? Verfluchter Kender scher dich zum Donner! Oh Vraccas, was habe ich bloß falsch gemacht? Warum hast du mich mit solch einem Spitzohr gestraft?“ Stück für Stück wurde eine kleine gedrungene Gestalt in den Türrahmen geschoben.

 

Leila wischte sich vor Anstrengung mit der Hand übers Gesicht. Man sah ihr an, dass sie offensichtliche Zweifel an dem guten Benehmen des Zwerges hegte. Dieser fuhr sich durch den dichten braunen, doch in kurzer Anmerkung sehr wohl gepflegten Vollbart, straffte den Rücken und schob sich überdies noch den Gürtel zurecht.

Mit einer kräftigen Hand zog er die Kenderin zur Seite, setzte sich an den breiten Eichentisch, verlangte darüber hinaus nach einem Krug Bier.

 

Filly und Thalia beobachteten das Schauspiel verschmitzt. Auch wenn diese harsche Persönlichkeit auf den ersten Wimpernschlag unfreundlich, abweisend und rau wirkte, so hatten die beiden in seinen Augen doch etwas Gutmütiges und Herzliches entdeckt. Dies mussten sie nur noch hervor kitzeln.

 

Mit der Zeit entfaltete sich eine tiefe Freundschaft unter den drei Kenderinnen, welche durch Leilas Ausgelassenheit einen festen Verband um die Wunden der Vergangenheit legte.

Die Beziehung mit dem Zwerg namens Gimdal Eichenfass hingegen, gestaltete sich als eine Form innigster Hassliebe.

 

In Würfelspielen oder Wettkämpfen versuchten gerade Filly und der Zwerg sich gegenseitig zu übertrumpfen.

Dies endete meistens mit dem fröhlichen provokanten Lächeln einer vollbepackten Filly und einem schimpfenden fluchenden Zwerg, der gerade sein Hab und Gut verloren hatte. Weshalb die Kenderin letztendlich jede Art der Wettbewerbe gewann, auch diese in denen sie eigentlich nicht hätte gewinnen können, dürfen oder sollen, wird wohl vielen ein Rätsel bleiben und Gimdal noch einiges Kopfzerbrechen bereiten.

 

Doch es würde eine erhebliche Weile brauchen, bis er begreifen sollte, dass das Kendertrio ihm schon lange etwas weit wichtigeres gestohlen hatte.

Sein Herz.

 

 

Kapitel 3:

In einer warmen Sommenacht geschah es, dass eine Gesandtschaft der Anderwacht, hinsichtlich erheblicher Unruhen und Aufständen im Osten, in einer kleinen lornischen Taverne einkehrte.
Während die Soldaten hofften, Neuigkeiten über die aktuelle politische Lage in Erfahrung zu bringen, reisten unsere drei jungen Heldinnen lediglich aufgrund von gähnender unüberbrückbarer Langweile mit.  Eine oft genug unterdrückte verborgene Reiselust, sollte die Eintönigkeit des Alltags vertreiben und versprach ein neues packendes Abenteuer.
Als sich die Menschen an dem breit gebauten Eschentisch von Brot und Wein labten und wichtige Gespräche über die Zukunft des Landes führten, erkundeten die 3 Kenderinnen jede einzelne, noch so verborgene Ecke der alten düsteren Schenke. Dabei gewann gerade Filly Einblicke in sorgsam verschlossene Geheimnisse.
Doch das Rätsel um gefundene Ersatzschlüssel und flinke Finger war jedoch weit schneller gelöst.
Denn bedauerlicherweiße, gewahrte die alte griesgrämige Wirtin kurze Zeit später, dass weitaus mehr Türen offen standen, als den Gästen für ihre Schlafzimmer zur Verfügung gestellt wurden. Ihr faltiges Gesicht, zu einer grässlichen Grimasse verzogen, schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch. Der Bierkrug des Zwerges erzitterte, während die alte Frau mit harscher Stimme die Geschehnisse erläuterte.
Gimdal, der nur auf einen derartigen Anlass gewartet zu haben schien, imponierte den anwesenden Gästen mit einer beträchtlichen Anzahl wüster Flüche und Verwünschungen. „ Elende Langfinger, Kendergesocks, die stehlen einem noch das Bier unterm Hintern weg! Ertränken sollte man sie! Potzträuflige Blaubrustracke! Das Gezücht sollte man wegsperren!“
Obwohl Filly sich von den derart schwerwiegenden Androhungen in keinster Weiße beeindruckt zeigte, musste sie dem Zwerg doch ein wenig Bewunderung für die Vielfalt seiner dreckigen Beschimpfungen zollen. Die junge Kenderin beschloss sich einige davon zu merken.
In diesem Moment gewahrte sie eine weiße, fast durchscheinende Hand an der schmutzigen Fensterscheibe.  Die zarten Glieder strichen sanft über das dünne Glas und  schienen ihr dabei zuzuwinken.
Um die anderen bei ihren Streitigkeiten nicht weiter zu stören, schlüpfte sie leise durch die Hintertür.
Ein heller, flatternder Zipfel verschwand  nach der Hausecke.
Dünne hohe Stimmen erklangen.
Flüsterten. 
Riefen ihren Namen.
Schritt für Schritt, ließ sie die Schenke hinter sich.
Ein kleines weißes Wesen, mit großen blauen Augen, schmiegte sich an ihre Beine. 
Zärtlich gewährte es, dass Filly ihr den Kopf kraulte.

Derweil ertönte ein Schrei aus der Taverne.
 "Wo ist dieser Kender? Wo ist dieser verfluchte Kender?! Weiß sie nicht, dass heute Weißmond ist? Wenn ihr etwas geschieht, dann schneide ich ihr jeden Finger einzeln ab. Bei Vraccas! Wo ist dieser verdammte Kender?"

Die spitzen scharfkantigen Fangzähne, welche das Maul des Wesens säumten, blieben im Schutz der Dunkelheit unerkannt.

 

Kurze Zeit später krachte die schwere Tavernentür auf und ein völlig aufgebrachter Zwerg stolperte die grauen Steinstufen hinunter.
Die große stählerne Axt fest in den Händen haltend, die dunklen Augenbrauen vor Sorge tief zusammengezogen, schritt er strammen Marsches in die Dunkelheit. „Kender, verfluchter Kender! Wo bist du?!“
Ein aus dem Wald zurückhallendes, verhöhnendes Echo, ließ ihn augenblicklich den Gefühlsausbruch strafen. Seine Verzweiflung war unüberhörbar.
Im flackernden Licht der mitgebrachten Laternen hielt der Zwerg einen Moment inne, straffte seine Schultern.
„ Na gut, ich werde dir nicht alle Finger einzeln abschneiden.“
Leise grummelnd stellte Gimdal fest, dass er schon wieder völlig zu Unrecht klein beigegeben hatte. Diese drei Quälgeister schafften es selbst in ihrer Abwesenheit, ihm die Worte auf der Zunge zu verdrehen.
„Ehrlich nicht?“
 Fillys Kopf entfuhr dem dichten Astwerk seitlich der Axt. In ihrer Stimme schwang Überraschung mit.
„Auch nicht wenn ich dir sage, dass du dein Horn verloren hast?“
Fluchend griff der Zwerg an den Gürtel.  Der Halter war leer.
„Du hast es verloren und ich dachte, ich hebe es auf. Nicht dass noch einer auf die Idee kommen sollte, es einfach zu stehlen.“
„Potzträuflige Blaubrustracke, ich bring das Diebespack um!“
Die schwere Axt schlug hart zu Boden.
Mit beiden Händen ergriff er den Kragen von Fillys taschenbesetzter Weste und zerrte sie unwirsch aus dem Gebüsch.
Ohne Rücksicht auf etwaige Kratzer schüttelte er sie.
Die ihm im Mund liegende Beschimpfung verschluckte er verblüfft, angesichts der fadenscheinigen blassen Gestalt in ihrem Rücken.
Hager war sie, mit großen, tief in den Augenhöhlen liegenden blauen Augen. Unschuldig schmiegte sie sich an Fillys Bein, schaute bewundernd zu ihr auf. 
Niemand könnte diesem Wesen etwas zuleide tun.
Und diese Zähne… diese… Fangzähne !!!
In diesem Moment, erklang der durchdringende Ton eines Rufhorns.

 

Ohrenbetäubendes Kreischen verseuchte augenblicklich die Luft, schlängelte zwischen die Bäume und verschlang alles im Weg stehende.
Gimdal riss die Arme hoch. Die breiten mit Schwielen übersäten Handflächen auf die Schläfen pressend, fiel der Zwerg auf die Knie.
Von der plötzlichen Gewichtsverlagerung überrascht, purzelte auch Filly benommen nach hinten. Das Echo des Waldes traf sie wie ein Faustschlag ins Gesicht.
Für einen kurzen Moment umfing die Kenderin eine beruhigende Dunkelheit. Stille.
Flimmernde Sterne erstrahlten grell in der Finsternis, wurden zu großen blauen Glaskugeln. Augen. 
„Bei Vraccas, ich mache Hackfleisch aus dir!“
Mit einem Ruck verschwanden die niedlichen Augen und ein schrilles Gejammer erklang, als das Wesen an den Haaren voran, durch das Dickicht geschliffen wurde.
Filly setzte sich auf.
Ein Anblick des Chaos eröffnete sich ihr. Überall rannten Menschen. In völliger Panik schlugen sie auf dahingleitende weiße Schemen ein.
Halb kriechend halb schwebend, wichen diese mit spielender Leichtigkeit den tödlichen Klingen aus. Fangzähne schnappten nach allem was sich bewegte.
Sie waren auf Beutezug.
„ Zwerg! Wo bist du?" 
Auf den Knien robbend, kämpfte sich die Kenderin durch das Getümmel.  Hier und da schoss eine weiße knochige Hand hervor, fasste nach ihren Beinen. 
Ein abermals schrilles Gekreische zeriss die kühle Nachtluft.
„ Gimdal! Du wirst ihr doch nicht weh tun! Sie ist unschuldig.“
„ Achtung Langfinger pass auf! Hinter dir!“
Hätte die Bedrohung nicht alle ihre Sinne in Anspruch genommen, sie wäre auf ihn losgegangen. In einer solchen Unerhörtheit einen Kender des Diebstahls zu bezichtigen, glich einer Beschämung der Ehre.
Während Filly sich geschwind zur Seite warf, verstummte das Gejammer. Doch dort war kein Gegner.
Empört richtete sie sich auf, klopfte den Dreck von ihrer Kleidung und wurde kurzerhand von einem in rascher Eile voranschreitenden Zwerg am Arm gepackt.
„Hast du den Angreifer nicht gesehen? Er war ganz groß! Fast hätte er dich erwischt. Da hat mir dein liebäugiges Biest in den Finger gebissen und ist abgehauen. “
Das dunkelrote herabtropfende Blut an der breiten Axt des Zwerges sah sie nicht.

In größter Hast stürzten die Menschen zurück zur Taverne.
Eine junge hübsche Elfe, die sich zu weit von den anderen entfernt hatte, musste nun dafür bezahlen.
Wie ein Rudel Wölfe umkreisten die Schemen ihr Opfer.
In gespannter Erregung setzten sie zum Sprung an.
Die Augen voller Angst, das Gesicht zu einer schmerzvollen Grimasse verzogen, wurde sie fortgezerrt und von der Dunkelheit verschluckt.
Der Zwerg rümpfte die Nase. Er hatte die Elfe nie leiden können.

 

Keuchend erhaschte er die dunklen Umrisse der alten hölzernen Schenke, welche sich düstern unter dem Nachthimmel hervorhob.
Er schnaufte heftig. Mit seiner schweren kunstvoll verzierten Axt und der Rüstung, war er einfach nicht für lange Märsche geeignet.
Schweißtropfen perlten von Seiten der Stirn, verfingen sich in dem zerzausten, mit kleinen Zweigen gespickten Bart. Erbost fegte er sie hinfort.
Wieso musste diese verdammte Kenderin auch überall ihre Nase hinein stecken!
Ihre ganze Lage schien in bizarrer Weiße verkehrt. 
Ein Zwerg flieht nicht. Er kämpft bis zum letzten Atemzug, um seinen Gegner zu gegebener Zeit, die scharf geschliffene Klinge schmecken zu lassen.
Trotzdem rannten sie wie räudige Hunde.
Und das alles nur wegen eines kleinen Langfingers… der allem Anschein nach schon wieder verschwunden war!
„Die Tür ist verrammelt! Die Fenster auch. Ich bin dreimal um das Gebäude gerannt, aber ich finde keinen einzigen Zugang mehr.“
Etwas außer Atem kam Filly der Gruppe entgegen, blieb abrupt stehen und warf ihr lockiges langes Haar gekonnt hinter die rechte Schulter.
Ungehalten reckte sie die Nase in die Höhe.
„Versucht der hochachtungswürdige Zwerg wieder einmal Löcher in die Luft zu starren und klug auszusehen? Ich muss dich leider enttäuschen. Weder das eine, noch das andere funktioniert. Stattdessen solltest du allmählich ein wenig an Fahrt gewinnen. Selbst Großmutter Linde rennt schneller als du. Und DIE hat ein Holzbein!“

Milchige wabernde Dunstschleier ließen die entnervte Kenderin verstummen.
Langsam kräuselten sie sich über das feuchte Gras, nahmen der spärlichen Gemeinschaft die Sicht.
Selbst Gimdal verschob seine Pläne, das kleine Biest zu erwürgen auf später.
Nebelschwaden zogen sich zusammen, formten eigene Körper, webten längst vergangene Geschehnisse.
„Ich habe nichts getan! Lass mich gehen! Meine Frau und meine Kinder brauchen mich doch noch! Wer soll sie versorgen, wenn nicht ich?“
Ein großer, kräftiger Mann zerrte eine kleine, dickliche, verängstigte Gestalt hinter sich her. Mit der linken Hand den dunklen Haarschopf fest gepackt, in der rechten ein scharfes Beil, band er den verzweifelten Mann an einen Holzpflock.
Fillys Schrei zerriss die Nachtluft.
„Warum tut denn keiner was! Jemand muss ihm helfen!“
Niemand rührte sich.
Sie rannte los.
Der Mann schrie angsterfüllt auf.
Gleich hatte sie ihn erreicht.
Die stählerne Waffe erhob sich hoch über seinen Kopf.
Ihre Füße schienen nicht schnell genug.
Wimmernd betete er zu seinen Ahnen.
Das Beil sauste nieder.
Ihre Arme griffen ins Nichts.

 

Fassungslos stand sie da, zitterte.
Der blutige Kopf war von dem Holzpflock herunter gestürzt und vor ihren Füßen zum erliegen gekommen.
Die dunklen Haarsträhnen klebten an dem feuchten Gesicht, die aufgerissenen Augen sprachen von Angst, Sorge und Schmerz.
Dieser Mann hätte nicht sterben müssen. Wäre Filly nur einen Moment schneller gewesen, sie hätte ihn gerettet.
Eine Möglichkeit gefunden, das Beil aus grauen Dunstschleiern aufzuhalten. Ganz bestimmt.
Heiße Wut trieb der Kenderin erneut die Tränen in die Augen.
Langsam wanderte ihr Blick über die stummen Gesichter. Da standen sie.
Still und ohne Anteilnahme betrachteten die Menschen das Geschehen.
Nie zuvor hatte Filly ein Volk gesehen, welches auf eine derart kalte, arrogante und gefühllose Art den Tod einer der ihren in Kauf nahm.
Lediglich der Zwerg schien sich beträchtlich unwohl in seiner Haut zu fühlen.
Nervös wippte er von einen Fuß zum andern, die kräftigen Hände fest um den Holzgriff der stählernen Axt gelegt.
Er würde kämpfen, bis auf den Tod. Sie sah es in seinen Augen. Filly beschloss von nun auf ihn aufzupassen.
Da ertönte ein Schreckenslaut. Gimdals Axt schlug dumpf auf der harten Erde auf.
Die großen Pranken um den dicken Bauch gepresst, den Oberkörper vornüber gebeugt, wand er sich in stiller Verzweiflung.
Graue fadenscheinige Arme wuchsen aus seinem Bauch, schlängelten sich in alle Richtungen.
Der Schrecken war ihm ins Gesicht geschrieben. Hysterisch versuchte er sie zu entreißen.
Die Kenderin, welche seine Hilflosigkeit nicht länger ertragen konnte, eilte zu ihm um ihm zu helfen.
Just in diesem Augenblick verschwanden die Finger, zerflossen. In Nichts.
Der Zwerg schlug hart auf dem Boden auf.
Filly bewegte sich ein paar Schritte rückwärts. Etwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. Wer waren diese Geister?
Ein Lufthauch streifte ihren Nacken.
Als sie sich umdrehte, blickte sie in eine Fratze, die nicht einmal ihre schlimmsten Albträume hätten ersinnen können.
Tote aufgerissene Augen brannten sich in ihr Herz. Blut tropfte die Stirn herab, die Wangen, den Hals.
Ihr mulmiges Gefühl verwandelte sich in ein erdrückendes Bauchweh.
Überall erschienen gelbe Augen. Vogelaugen. Schwarze dunkle Gestalten bevölkerten ihr Sichtfeld.
Die faulen Zähne verzogen sich zu einem grässlichen Grinsen.
„Die Vögel sehen dich, Filly.“

Erzählungen deuten an, das Mädchen sei nach hinten gekippt wie ein fallender Hoopak, wäre den Rest der Nacht nicht mehr ansprechbar gewesen.
Die nächsten Tage, erblickte man sie immerfort in der Nähe des Zwerges.
Haltesuchend klammerte sie sich an sein Bein, während er mit gläsernen Augen in dem Sessel neben der Tür vor sich hinstarrte.
In seinen abwesenden Gedanken versäumte er es sogar, die junge Kenderin zurechtzuweisen oder wenigstens fortzustoßen.
Still saßen sie beieinander ohne jegliche Streitereien.
Denn manche Dinge kann man nicht durchleben ohne Freundschaft zu schließen.

 


 

Von Kendern und Flammengeborenen
Aus : Aufzeichnungen des Mor'Amroth, Klingen des Chaos

Jedes Land ist anders und jedes Land ist gleich.
Überall gibt es den Abschaum der Sterblichkeit und die dunkle Sehnsucht des Wandels.
In diesen Landen war es nicht anders...
Magie hatte den Äther verwebt und die Seelen der Toten fanden ihren Weg nicht mehr.
Doch diese war wie ein Funke der unter den Sternen verglüht; etwas, das sich in sich selbst findet.
So schritten wir Krieger des Chaos auch durch dieses Land und der Schatten folgte uns nach.

Es sind die unscheinbaren Momente, die den Wandel herbeiführen und nichts ist vor der stetigen Berührung der Veränderung sicher.

Ein altes Gewölbe, verschlossen durch Magie und Zeit. Doch Kraft bricht sie auf.
Velekor berührt die kalten Steine, doch sie gewähren ihm keinen Einlass. Sein massiger Körper, eingeschlossen in Stahl und Stärke spannt sich, als er gegen die Barriere des Gewölbes rennt, denn Geheimnisse bleiben vor dem Willen nicht verborgen.

So bricht er hindurch, die Magie kann sich seiner Stärke nicht widersetzen.
Kjalter, Champion des Khorne, folgt ihm. Auch seine Macht ist zu unbeugsam, als dass Magie sie stoppen könnte.
Doch hinter ihnen versiegelt die Magie den Ausgang und von innen fehlt ihnen der Platz um ihre Kraft zu entfalten.
Ich kann ihre Stimmen hören, hinter Fels und Zauber.

Sie sind wie Kinder, wirken unschuldig und neugierig; sie sind klein und wunderschön auf ihre verletzliche Weise. Sie sind zu dritt. Drei Kender, deren Übermut an Leben sie zu nahe zu uns geführt hat.
Zwei von ihnen bekommen wir zu fassen. Kelben und ich heben ihre Körper an und werfen sie gegen die Barriere. Sie stürzen hindurch und wir hören die Stimmen unserer Krieger. Dann den singenden Klang von Schreien. Meine verborgenen Sinne nehmen Blut wahr.

Dann treten Velekor und Kjalter wieder durch die Barriere hindurch. Blut klebt an ihren Händen.
Das dritte Kendermädchen beginnt zu schreien. Ihre Stimme ist süß; so muss Blut klingen, wenn es singen könnte.

Zeit ist die Manifestation des Wandels.
Wir haben die Kender im Gewölbe gelassen.
Doch als wir zurückkehren sind diese Geschöpfe doch befreit. Eine von ihnen liegt bewusstlos am Boden. Doch was sie in der Hand hält erregt meine Aufmerksamkeit.
Menschen scharen sich um sie und ihre zwei Freundinnen versuchen das Kender-Mädchen zu wecken. Doch ihre Augen bleiben geschlossen.
Ein Drachenbaby. Das ist es, was sie in Händen hält. Ein Flammengeborenes. Eine Echse des Feuers.
Solche Wesen sind selten.
Ich gebe einem unserer Krieger den Auftrag mir das Drachenkind zu holen.
Eine der Mädchen stellt sich ihm in den Weg. Die Sonne glänzt in ihren Haaren und ihre Anmut scheint den Krieger zu blenden. Er kommt zurück und sagt mir, sie würden ihn nicht durchlassen.
Ich schlage ihn und sage ihm das mich das nicht interessiere.
Er geht wieder los und kommt wieder mit leeren Händen zurück. Er erklärt mir, das Flammengeborene wäre untrennbar an die Hand des Mädchens gebunden.
Ich sage ihm, das mich auch das nicht interessiere, dann solle er mir eben die Hand auch mitbringen.
Doch die Grazie der Mädchen scheint eine eigene Art von Magie inne zu wohnen. Er kann es nicht.
Ich fordere die Axt des Kriegers...
Die Stärksten sind allein am stärksten und alles, was getan werden muss, musst du selber tun.
Es liegt Weisheit darin, seine Schlachten selber zu schlagen.

Sie steht vor mir. Ihre Augen glänzen wie tiefe Wasser. Ich kann Angst darin sehen, doch auch eine tiefe Entschlossenheit. Sie wird nicht weichen. Sie weiß, dass ich ihrer Freundin die Hand abschlagen werde und sie wird für sie einstehen.
Es ist eine bewundernswerte Mischung aus Loyalität und Dummheit.
Ich sehe zu ihr herab und sie versucht mich von ihrer Gefährtin fern zu halten. Für einen Moment kann ich die Schwäche meines Kriegers verstehen; spüre ich die Magie der Beruhigung, die von diesen Wesen ausgeht, so wie es von aller Unschuld ausgeht.
Doch ist es ebenso Schwäche.
Ich lächle sie an.
„Das ist nicht dein Ernst.“ Meine Worte sind Boten. Ich fasse sie unter den Armen und hebe sie hoch, als wäre sie nicht mehr als eine kleines Kätzchen, das sich mir in den Weg gestellt hat – flauschig und harmlos.
Ich stelle sie auf der anderen Seite wieder ab.
Es geht so wenig Bedrohung von ihr aus, dass ich sie nicht weiter beachte.

Ihre andere Freundin beugt sich über das bewusstlose Mädchen. Sie hat geflochtene Haare, die wie Zauber wirken.
In ihren dunklen Augen spiegelt sich ein erstaunliches Maß an Wissen, verborgen noch hinter Neugierde und Leichtsinn, aber durchaus vorhanden.
Ihr Gesicht ist schön, obwohl es von Angst verzerrt ist. Es ähnelt dem einer Elbe und ruft alte Erinnerungen in mir wach... die ebenso tief verschlossen schienen, wie das Gewölbe hier.
Ich sehe sie an und der Moment wird zu einer Erinnerung und die Erinnerung zu einer Ewigkeit...
Ob dies wieder einer ihrer Zauber ist?
Doch mein Wille bricht jede Schwäche.
Ich schiebe sie zur Seite und sie schlägt gegen meinen Panzerhandschuh, als könnte sie damit etwas ausrichten.
Hinter mir sehe ich das erste Mädchen umfallen.
Orks nähern sich.
Das Mädchen, das sich eben noch versucht hat zu wehren läuft zu ihrer anderen Freundin.

Vor mir liegt sie; unschuldig wie ein Traum. In der Hand ein Flammengeborenes. Schutzlos und klein.
Ob sie in ihrem bewusstlosen Geist weiß, was ihr bevorsteht.
Niemand sonst hat sich mir in den Weg gestellt. Die Menschen, die den Kendern noch zuvor geholfen haben, sehen nur zu. Unschlüssig, eingeschüchtert durch die Präsenz des Chaos.
Selbst als ich die Axt hebe geht niemand dazwischen.
Hinter mir kann ich das Kendermädchen hören; als könnten ihre Worte das unausweichliche verhindern.
Die Axt schnellt herab...

Als ich die Augen öffne liege ich drei Meter entfernt.
Mächtige Magie hat die Kleine geschützt. Nicht sie oder ihre Freundinnen... Nein, das Flammengeborene in ihrer Hand.
Einer meiner Krieger hilft mir auf.
Ich beginne zu lachen.
An einem anderen Tag, zu einer anderen Zeit...
Wir werden uns wiedersehen!

 

Kapitel 4

Wochen zogen ins Land.
Grünes Leben wich einer leuchtenden rotbraunen Herbstpracht. Bunte Blätter benetzten die Erde und raschelten bei jedem kleinen Schritt, den unsere drei jungen Heldinnen hinter sich brachten. Vergnügt fingen sie die letzten goldenen Sonnenstrahlen ein. Das Stundenglas der Zeit hatte sich erneut gedreht.
Munter plaudernd, gesellten sich die Kenderinnen zu einer kleinen Menschenmenge. Ein aus Stein gehauenes Kellergewölbe ohne Eingang, sollte geöffnet werden. Von der Neugierde gepackt und der Lust ein kleines Geheimnis zu lüften, verstrickten sie sich immer weiter in die verrücktesten Ideen und Pläne.

Doch dann ging alles ganz schnell.
In ihre eigenen Überlegungen verstrickt, bemerkten die drei Mädchen nicht, wie die Gesellschaft sich gewandelt hatte.
Die Rüstungen aufwendig verziert, die Augen hart und herablassend, stießen die Kreaturen jeden zur Seite, der es wagte ihnen zu nahe zu kommen.
Ein schwarzer Kreis, mit abzweigenden Pfeilen zeugte von eiserner Brutalität und Schrecken.
Chaos.
Mit unmenschlicher Kraft, brachen sie durch die Steinwand, direkt in das Herzstück des Gewölbes.
Filly reckte die Nasenspitze.
Was für eine Kraft. Das konnten doch keine Menschen sein!
Auch Thalia schien die Lage deutlich zu beunruhigen. Ihre warnenden blauen Augen äußerten eine klare Sprache.
Es war Zeit zu verschwinden.

Leise, einen winzigen Schritt vor den anderen setzend, wandten die drei Kenderinnen sich ab. Noch schien niemand sie bemerkt zu haben.
Wenn sie ganz leise wären….
Ein Lufthauch streifte Fillys Wange.
Leila und Thalia waren fort.
Kräftige Hände hatten die beiden hochgehoben, in das Innere der Wölbung geschleudert.
Schreie erklangen.
Dann Stille.

Eine Gestalt, den Helm mit Hörnern gespickt, so groß wie drei Kenderarme, schritt aus der Wand.
Dunkelrotes Blut tropfte von seinen Händen, hinterließ kleine Lachen auf der Erde.
Das konnten keine Menschen sein!
Filly schrie.
Ein Mann mit einem eisernen Stirnreif, befestigt durch Nägel, welche seitlich in den Kopf geschlagen schienen, wagte es sie festzuhalten.
Das Mädchen blickte ihm fest in die Augen.
Grässliche Narben zerfurchten sein kaltes, unnahbares Gesicht.
Die Kenderin hatte das Hassen gelernt.

Kurze Zeit später stürzte auch sie durch die dunkle Steinwand.
Ein erschreckender Anblick holte Filly in die Wirklichkeit zurück.
Den Arm, der Länge nach aufgeschlitzt, den Mund zu einem schmerzvollen Wimmern verzogen, kauerte Thalia neben einer blutigen Steinplatte.
Neben ihr stand Leila. Sie schien unverletzt.
Zitternd umklammerte sie einen blutigen, kunstvoll verzierten Dolch.
Ihre Augen waren weit aufgerissen.
„Sie haben sie abgestochen! Einfach so…wie Schlachtvieh.“
Verzweifelt führte sie die Klinge an ihren mit Taschen bespickten Bauch.
„Thalia wird sterben, wenn wir keine Hilfe holen. Man benötigt Blut, um hier rauszukommen. Viel Blut. Und es ist die schnellste Möglichkeit...“
Leilas Stimme brach ab. Ihre Entscheidung war gefällt.
Niemals würde sie ihre Freundin sterben lassen.

Filly entriss ihr den Dolch. „Hör auf mit dem Unsinn Leila!“
Fieberhaft durchsuchte sie Thalias Taschen.
Eine Flöte, Karten, ein Buch, Steine, Löffel….Verbände!
Ungeschickt befolgte das Mädchen die schwachen Anweisungen Thalias.
Indes versuchte Leila einen anderen Weg.
Sorgsam liebkoste die Klinge ihre Hand, während die Kenderin den Arm fest auf die Steinplatte legte.
Filly blickte auf.
Gerade rechtzeitig sprang sie vor und fing das Mädchen auf, welches mit einem kurzen Seufzer nach hinten kippte.
Überrascht schlug die Kenderin die Hand vor den Mund.
Eine kleine lebende Echse räkelte sich in der von Brandspuren gezeichneten Hand Leilas.

 


 


Kapitel 5

 

Die glutrote Sonne sank, während die Schatten der Nacht das Licht des Tages austranken. 
Drei kleine Gestalten kaum wahrnehmbar, die Rucksäcke voll bepackt, die Taschen vom Handeln gefüllt, verließen das behütende Licht der Taverne.
Sollte sich das Chaos doch andere Wesen suchen, welche sie gegen Wände hauen könnten.
Filly runzelte die Stirn, rückte ihren Pferdeschwanz sorgsam zurecht und sprang trotzig die breiten Steinstufen herab. 
An diesem Abend hatte der Kenderrat einstimmig beschlossen, die Länder Lefunis zu verlassen. 
Nicht noch einmal, würde die junge Kenderin eine derart verübte Schandtat an ihren Freundinnen zulassen.
Von nun nahm sich Filly vor besser auf sie aufzupassen.

Ein breiter Laubteppich knirschte unter ihren Füßen, während die Mädchen eingehüllt in den seidenen Mantel der Dunkelheit, den Weg in ein neues Abenteuer suchten.
Helles Flötenspiel begleitete die drei, erzählte von uralten Legenden und sang ein Lied von Freude und Zusammenhalt.
Geschichten aus längst vergangener Zeit, tanzten erneut in den Schatten der Nacht.
Tiefe Stimmen.
Ein kreischender Ton durchbrach die gewobene Liederdecke, riss sie mitten entzwei. In ihrem Erstaunen vergaß Thalia ihre Flöte zu senken.
Eine Gestalt, groß wie ein Bär und dreimal so groß wie ein Kender, sein Gesicht in unmenschlichen Zügen hässlich verzerrt, dass selbst die Flussratten sich in ihre Löcher verkrochen hätten, versperrte ihnen den Weg.
Moderiger Gestank nach altem Fleisch erfüllte die Luft, nahm Filly den Atem.
Seine Kleider stanken erbärmlich.

In Leilas Augen spiegelte sich das Entsetzen. 
Es gab viele Erzählungen über sie.
Fratzen des Krieges.
Ein Ur- ur- ur- großvater Leilas, so besagen Erzählungen, soll einmal vor langer Zeit mit den tapfersten Kriegern der Stadt gegen einen mächtigen Ork gekämpft und verloren haben.
Es heißt, sie wären Kindertöter.
Essen Kenderfleisch.
Nehmen sich einfach, was sie möchten.
Nur einer der Kender kam wieder zurück.
Ihm fehlten ein Arm und ein Bein.
Bei lebendigem Leibe sollen sie es ausgerissen und als Keule über dem Feuer gebraten haben.
Er war bis an sein Lebensende traumatisiert.

Mehrere Ungeheuer näherten sich nun von allen Seiten.
Fillys Gedanken überschlugen sich. Vergebens.
Einen Fluchtweg gab es nicht.
Wenn sie nicht als gebratener Spieß über dem Feuer enden wollte, musste sie sich etwas überlegen.
Und zwar schnell!

 

„Weißt du mal nicht, wohin du sollst. Nichts mehr übrig von Ehre und Stolz.
Zu viel Schlimmes hast du erlebt, wünschst nur noch du wärst davon geschwebt.
Leg dich hier bei den Eichen nieder und wenn du erwachst scheint die Sonne wieder…“
(aus den Liedern des Kendertrios: Das Lied vom Platz der singenden Bäume)

Das erste Ungeheuer packte Leila an der Schulter.
Seine breiten Pranken gruben sich tief in die zierlichen Arme des jungen Mädchens.
Ihr sorgfältig eingeflochtener Haarschmuck stob in alle Richtungen, während sie versuchte sich zu befreien. Filly ballte die Fäuste.
Blanke Wut durchfuhr ihren Körper.
Wäre sie ein Mensch gewesen, sie wäre wahrscheinlich schreiend und um Gnade winselnd in die Knie gegangen.
Doch da Kender für gewöhnlich keine Angst verspüren, wurde lediglich ein leichtes warnendes Magenziehen durch die erdrückende Sorge um ihre Freundin hinfort gewischt.
Zu keiner Zeit sollte sie erneut tatenlos zusehen, wie einer ihrer Gefährtinnen Leid zugefügt wurde.

Einen Herzschlag später, trafen sich die unruhigen Blicke von Thalia und Filly.
Wie zwei in die Enge getriebene Kätzchen, machten sie sich zum Sprung bereit.
Gibt es keinen Weg zurück oder zur Seite, nutze deinen Kopf.
Versagt auch dieser, gehe den direkten Pfad zur Gefahr.
Denn nur durch Mut wird das Kätzchen zum Raubtier, umtänzelt mit spielender Leichtigkeit einen übermächtigen Gegner, findet seine Schwäche, um ihm im entscheidenden Moment die Augen auszukratzen.
In stummem Einverständnis stürzten sie nach vorne, griffen tapfer nach dem überraschten Ungeheuer.
Mit aller noch verbliebenen Kraft, zogen sie ihn zurück, fort von der Richtung in die er sie lenkte.
Der herbe Geruch schnürte Filly die Luft ab.
War die Gefolgschaft der tapfersten Kender Hylos womöglich wie Fliegen, an der Verpestung eines Gestankes übelster Art verstorben? War das die eigentliche Waffe dieser Wesen? Vorsichtshalber hielt sie die Luft an.

Weitere Bestien strömten dazu, griffen nach den Mädchen, bis ein dichtes Knäuel aus Armen und Beinen durch einen breiten Zelteingang stürzte.
Filly's Kopf schlug hart auf dem Boden auf.
Grelle Sterne flimmerten vor einem dunklen schummrigen Hintergrund.
Unwirsch wurde sie über die kalte Erde gescheucht.
Einzelne Knochen streiften ihre Füße, während das Mädchen sich einen Weg zwischen dunklen grobschlächtigen Gestalten hindurch bahnte.
Silberne mit Wachs überzogene Kerzenleuchter erhellten die verborgenen Albträume kleiner Kenderkinder, gaben den Blick auf den offensichtlichen Anführer frei.
Residierend, auf einem erhöhten Sitz aus dunklem abgenutzten Holz, das Gesicht leicht nach unten geneigt, thronte ein riesiger Troll.
Der erdrückende Gestank nach altem Leder und Waffenfett wurde stärker und vermischte sich mit den Rauchschwaden eines Lagerfeuers, zu schwüler stehender Luft.

Ungehobelt wurde Filly vorwärts gestoßen.
Wie ein Haustier, saß sie nun eingepfercht zwischen den Beinen des Anführers, einen scharfkantigen Dolch an ihrer Kehle.
Ihre zittrigen Hände verrieten, dass sie sich zwischen all den grobschlächtigen Gestalten klein und verloren vorkam.

Erst als ein dürrer, missgestalteter Ork mit langem fettigen Haar es wagte, ihren Rucksack zu nehmen und jede winzige, mühsam zusammengesuchte Geschichte, jeden Stein, jede Karte, jedes Kästchen, achtlos auf den Boden zu werfen und zu untersuchen, wagte sie den Protest.
Trotzig hob sie den Kopf.
„He du hässliches Ding.. ich kenne Viecher unter Steinen, die sind schöner als du! Wie wäre es, du lässt die vergebene Haarpflege sein und erlebst selbst ein paar Geschichten. Dann bräuchtest du meine nicht zunichte zu machen!“

Ein weiteres verunstaltetes breites Geschöpf näherte sich und sprach sie an.
Sie sollte etwas sagen. Einen Namen lernen.
Den ersten, Barash- âmul, brachte sie gerade noch über die Lippen.
Bei Asht’Sharr hörte es auf.
Nach dem dritten Versuch traf sie dessen flache Hand hart im Gesicht.
Benommen richtete sich das Mädchen auf.
Sie wollte nicht wissen, auf welche Art Orks ihren Kindern das Sprechen beibrachten.

Sie drückten Leila etwas auf Mund und Nase.
Ihr Blick verschleierte sich, während glasige Augen einem Spiegel gleich in die Unendlichkeit sahen.
Jegliche Anspannung in dem Gesicht der Kenderin, war einem friedlichen Lächeln gewichen.
Munter blickte sie sich um, schien jeglichen Sinn für Gefahr ausgeblendet zu haben.

Während das Mädchen aus herumliegenden Gegenständen eine Krone für den Anführer der Orks zusammenbastelte, näherte sich ihr eine Orkin. Filly hatte niemals zuvor solch eine hässliche Frau gesehen.
Sanft nahm sie die Hand des Mädchens, sprach ihr gut zu.
Irgendetwas stimmte nicht. Entsetzt sprang Thalia auf, stellte sich vor Leila.
Die Orkin hatte die Hand der Kenderin an die Flammen geführt. Zu nahe. Das Mädchen kicherte leise.
Filly runzelte die Stirn. Hatte Leila den Verstand verloren?
Was hatten diese stinkenden Ratten ihr gegeben?

Mit einem rauchigen Lachen in der Kehle sprang die Orkin zurück. Setze sich neben den Anführer.
Fillys Gedanken überschlugen sich.
Jemand musste etwas unternehmen!
Wie der Dolch in ihre Hände geraten war, sie wusste es nicht.
Wahrscheinlich hatte sie ihn irgendwo gefunden. Niemand schien ihn zu benötigen.
Dunkles Gelächter erfüllte den Raum. Blut rauschte in ihren Ohren.
Einen Augenblick hielt sie inne.

Fragte sich, ob sie es könnte…ein Leben zu nehmen, um ein anderes zu behalten.

Langsam schloss sie die Augen.
Der Moment, indem man vergisst und alles ausschaltet, ist wie die tiefe Stille eines dunklen Sees, der zu brodeln beginnt.
Die Oberfläche scheint ruhig. Doch auf dem Grunde des Ozeans kocht es.
Der hölzerne Griff in ihrer Hand fühlte sich leicht an.
Sie würde es schaffen. Hörte auf ihren Herzschlag.
Mit einem gezielten Streich, riss sie den Arm zur Seite.
Traf auf hauchzarten Widerstand.
Ein dünner dunkelroter Faden, zog sich in einem zarten Rinnsal über die Wange der Bestie.

Filly öffnete die Augen.
Sie hatte die Kehle der Orkin verfehlt. Ihr Herz schien langsamer zu schlagen.
In ihrem tiefsten Innern, hatte das Mädchen eine Entscheidung getroffen.
Sie konnte es nicht.
Hatte das Weibchen verschont.

Selbige war aufgesprungen. Hielt sich schreiend die Wange.
Jemand schlug ihr das Messer aus der Hand. Filly ließ ihn gewähren.
Es war zu spät. Die Chance vertan. Nun würden sie sie bestrafen. Die Kenderin war bereit sich ihrem Schicksal zu stellen.
Stolz reckte sie den Kopf in die Höhe.

Da packten die Ungeheuer Thalia.
Filly verstand nicht, blickte in das selbstzufriedene Gesicht der Orkin.
Dann zu Thalia.
Ihre blauen Augen funkelten selbst in dem dämmerigen Licht der silbernen Kerzenleuchter.
Der erste Streich ließ die Kenderin aufschreien. Beim zweiten stürzte sie auf die Knie.
Filly sprang auf. Das konnten sie nicht tun. Das konnten sie einfach nicht!
Verzweifelt versuchte das Mädchen vorzueilen, während die neunschwänzige erneut niedersauste.
Tränen erfüllten Fillys Augen.
Verbissen wand sich das Mädchen unter dem Griff der Orks.
Schrie. Weinte.
Sie konnte noch so sehr flehen, betteln und um Gnade bitten, doch die festen Pranken, die ihre Arme umklammerten, ließen nicht los.
Thalia schrie um ihr Leben.
Hätte sie doch nur nicht versucht zu helfen! Hätte Filly die Orkin nur nicht angegriffen!
Schluchzend ging das Mädchen in die Knie. Sie konnte nichts tun, um ihrer Freundin zu helfen.

Tapfer hielt sie dem Blick ihrer Gefährtin stand.
Sah die Pein in ihren Augen und teilte deren Schmerz.
Jedes Mal, wenn das dunkle Ungestüm niederfuhr, den Rücken Thalias zerfetzte und rote Blumen in die zarte, geschwollene Haut riss, bewegte Filly die Lippen.
Flüsterte den einzigen Satz, der es ihr möglich machte der Kenderin in die Augen zu sehen.
„Es tut mir Leid, Thalia. Es tut mir so Leid“


Als der letzte Schlag getan war, ließen die Orks Filly zu Thalia.
Leise singend, nahm sie den Kopf des Mädchens auf ihren Schoß. Vermied tunlichst den Blick auf die tiefroten Fleischfetzen.
Es hätte nicht so enden müssen. Es war ihre Schuld, dass Thalia hier lag. Filly würde es sich nicht verzeihen können.
Doch sie schwor sich, dass sie nie wieder einem Ork begegnen würde.
Doch wenn, wäre sie dann bereit zu töten?

 


Aus: Aufzeichnungen und Briefe aus Lefuni
Titel: Unbekannt
Dieser Brief wurde nicht abgeschickt.



An den ehrenwerten Herrn Gimdal Eichenfass,

Mein lieber Zwerg. 

Ich habe dein Rufhorn gefunden.
Es muss magisch sein, denn es ist einfach so in meiner Tasche gelandet!
Du solltest es dringend überprüfen lassen.
Nicht, dass es am Ende noch ein mächtiges verzaubertes Artefakt beinhaltet.
Außerdem hast du einen Stammbaum und ein paar seltsame alte Karten bei mir vergessen.
Ich dachte, sie sehen so alt aus, die braucht bestimmt keiner mehr.
Aber dann ist mir eingefallen, wie froh du damals warst, als ich deine Pfeife wiedergefunden habe und wie trübselig du den Kopf gesenkt hast, während du dein Kupferstück verloren hast.
Auch dieses habe ich gestern in einer Tasche gefunden.

Du hast also jeden Grund mir zu danken, du vergessliche Blaubrustracke!


Leila hat gesagt, du wärest in den Wäldern Evains.
Dem Land der riesigen Farne und der stürzenden Flüsse!
Dort, wo die Bäume den Himmel berühren.
Und die Vögel ein Lied von Frieden und Geborgenheit singen.

Es soll in diesen Landen Elfen geben.
Stimmt das, Zwerg?
Richtige, wunderschöne, erhabene, göttergleiche Elfen!

Die weiße Thalia meint, du müsstest sehr leise sein. Sonst verscheuchst du sie…
Und wenn es ganz still um dich herum geworden ist, und du die Gräser im Wind flattern hörst, dann kannst du dir gewiss sein, dass sie dich beobachten.

Lieber Herr Gimdal, sei doch so gut, und bring mir die goldene Haarsträhne eines dieser Wesen mit.
Man sagt, sein Glanz würde das Licht der Sonne wiederspiegeln. 
Außerdem soll es heilende Kräfte haben.
Damit kann Thalia dann Leben retten und Leila wird nie wieder ein Mensch unter den Händen wegsterben!


Herr Zwerg.. die anderen sagen, du hättest keine Zeit mehr für uns.
Wärest weitergezogen und würdest nie wiederkommen…
Aber ich kann das nicht so recht glauben.

Du würdest mich doch niemals im Stich lassen, oder?

Zwerg, bitte komm zurück!

Filly.

 

Kapitel 6

 

Es war ein nasskalter Herbstabend. Die Sonne hatte sich längst in ein Kleid aus Schatten und Dunkelheit gekleidet, als die drei jungen Kenderinnen die spärlich beleuchtete Hütte des Alchimisten Nikodemus aufsuchten.
Von der Wissbegier angezogen, betraten sie das rauchige Gebäude.
Filly hob erstaunt den Kopf. Ihre Augen glänzten vor Neugierde.
Substanzen in schillernder Farbenpracht wurden durch dunkle, seltsam riechende Schwaden in ein mysteriöses Licht getaucht. Überall blubberte und zischte es.
Thalia, die gerade die Nase in ein Gefäß mit einer zähen blauen Flüssigkeit gesteckt hatte, sprang jäh zurück und brachte sich gerade noch vor einer rötlich aufsteigenden, gigantischen Blase mit spitzen Fangzähnen in Sicherheit.
Lachend zog Filly das Mädchen an den Beinen unter einem großen Eichenstuhl hervor.
Vor lauter Schreck war Thalia in die hinterste Ecke gekrochen und dort stecken geblieben.
Erst als Leila mit anpackte und Filly ihren Lachanfall überwunden hatte, kam das schmollende Gesicht der Kenderin zum Vorschein.

Die drei Mädchen waren gerade damit beschäftigt, die Funktionalität einer schleimartigen, klebrigen, grünen Substanz an ihren Fingern zu testen, als eine ihnen wohlbekannte Person über die Schwelle trat. 
Eine dunkelgrüne Kapuze glitt zurück und entblößte das Gesicht einer jungen Elfe. Ihre Hände zitterten ein wenig, während sie sich die blonden Haare aus dem Gesicht strich.
„Verzeiht. Ich habe einen langen Weg hinter mir. Und doch bin ich so schnell gekommen, wie ich konnte. Filly, es tut mir so leid um den Zwerg. Auch wenn ich ihn nicht leiden konnte… Aber sei nicht sauer auf Leila.. es war nicht ihre Schuld!“

Der Kenderin blieb das Lachen im Halse stecken.
Filly verstand nicht… Was redete die Elfe? 
Ein Blick in Leilas Augen, ließ ihren Körper erstarren.
Fassungslos stand sie da.
Unfähig sich zu bewegen oder zu denken.
Sie wollte, nein sie konnte es nicht wahrhaben.

In diesem Moment, kam sie sich wie die Beobachterin eines grotesken Schauspiels vor.
Die Elfe stand noch immer in der geöffneten dunklen Holztür. Ihre Anwesenheit hatte die Hoffnungslosigkeit einkehren lassen.
Oder war es die kalte Herbstluft, welche den Frost brachte? Filly wusste es nicht.
Thalia hatte den Kopf gesenkt. Ihre Augen waren schuldbewusst zu Boden geschlagen. Sie schämte sich.
Die Zeit schien stehen zu bleiben.

Es war Leila, deren Redeschwall die Stille zerbrach und nun nicht mehr zu bremsen war.
Die Worte sprudelten ihr aus dem Mund:

„Ich hab das nicht gewollt! Ehrlich nicht! Filly, du musst mir glauben!
Weiße, tote Geschöpfe aus dem Untergrund haben uns angegriffen. Es waren einfach zu viele…
Ich wollte ihm helfen, doch jemand hat mich weggezogen. Er hat gekämpft, um mir den Rücken zu decken!
Dann hab ich etwas Schweres auf den Kopf bekommen.
Als ich aufgewacht und zurückgerannt bin, da lag er auf dem Boden. Ich dachte ja, er schläft.
Aber doch nicht mit dem Gesicht zu Erde!
Filly, der Zwerg hat dich nicht im Stich gelassen.
Er ist tot!“


Irgendwo zerbrachen Gläser.
Ein unmenschlicher Laut durchfuhr die Hütte.
War es ihre Stimme, die so schrie?
Filly war es egal.
Tränen rannen ihr über die heißen Wangen, legten einen Schleier über die Wirklichkeit.
Behälter für Behälter zerschellte auf dem Boden.
Die Hände der Kenderin glänzten rot, von den hauchfeinen Schnitten durchsichtigen Glases.
Irgendwann trugen ihre Beine sie nicht mehr. Wimmernd sackte das Mädchen in die Knie und verkroch sich in eine dunkle Ecke.
Beiläufig registrierte sie, dass auch die anderen beiden Kenderinnen weinten.
War es wegen ihr oder ob des Zwerges?
Filly war es egal. Sie wollte allein sein.

http://www.youtube.com/watch?v=pnEy7Zk0t-w   (Einfach hintendran abspielen lassen)

„Bis jetzt kehrte immer Frühling ein
Die heile Welt drehte sich in ihrem Lauf
In Wind und Weiden, Gras und Keim,
Behütet und erwärmt, wenn die Sonn´ ging auf.
Immer, bis jetzt, erklären konnte man,
Der Erde wechselnd´ Dunkelheit,
Und wie dies Dunkel mit dem Regen kam,
Und gab den Blumen, dem Farn Geborgenheit.
Bereits vergess´ ich dies im Kummer,
Und wie sich langsam Tiere regen,
Das Horten ungezählter Sommer,
Die Gezeiten ungezählter Leben.
Nun ist der Winter mein´ Erinnerung,
Dann der Herbst, und auch das Sommerlicht –
So wird ab nun sein jedes Frühlings Geschicht´
Eine weitere Gezeit in die Dämmerung.“

(Aus dem Liedgut des Kendervolkes von Holger Goettmann)


Am nächsten Morgen beerdigten die drei Kenderinnen eine Seele und mit ihr ein Leben.
Mit der Zeit wichen dunkelrote Herbstblätter einer weißen Schneeschicht, welche das aus Stein gemeißelte Andenken an Gimdal Eichenfass zudeckte.
Den rauen mürrischen Zwerg, mit einem Bauch wie ein Bierkrug und einem Herzen aus flüssigem Gold. 
Doch wer genau hinsieht, kann heute noch die drei kleinen Schalen, mit den prächtigsten Glaskugeln und den schönsten Steinen betrachten, während der sanfte Wind, das Lied von Filly, Leila und Thalia bis in die Baumwipfel trägt.

Denn die Erinnerung bleibt.

 

Von lebenden Toten und toten Lebenden
Annähernd wörtlich niedergeschrieben aus den Erzählungen der Leila Flüsterwind.

 
Dieses Abenteuer werde ich niemals vergessen. Das letzte Abenteuer mit Gimdal, meinem
allerliebsten grummligen Gefährten, dem Zwerg.
 
Maroni kicherte leise vor sich hin, während wir den dichten, dunklen Wald betraten. Der
Kobold hatte sich die gesamte Zeit über den Zwerg lustig gemacht und war ihm gerade erst
entkommen, als der Zwerg die Nerven verloren hatte und sich auf ihn stürzen wollte.
 
Gimdal hatte es nicht leicht, glaube ich. Nicht nur mit Lúthien stritt er sich unaufhörlich, auch
Maroni schien ihn irgendwie anzustrengen. Zu seinem Glück hatte er mich, denn ich wusste,
was ihn aufmunterte. Also erzählte ich ihm ohne Unterlass die Geschichten, die ich erlebt
hatte, sang ihm meine liebsten Lieder und lenkte seine Gedanken auf glücklichere Zeiten. 
Er war ein ganz großartiger Geschichtenerzähler.  Wenn ich ihn über seine Abenteuer
ausfragte, wurde der Moment zur Ewigkeit.
Oft blieb mir bei der Ausmalung über die großen Schlachten, die sein
Volk geschlagen hatte der Mund offen stehen und ich vermochte es für eine Weile nicht
mehr weiter zu singen.
Doch als wir den Wald, diesen düsteren Wald betraten, da war mir, als ob sich mein Magen
zusammenzog und die gute Laune der gesamten Gruppe einem Windhauch gleich davon
gefegt wurde.
Vielleicht lag es an der Leiche, die am Waldrand lag… denn ich blickte zu dem Zwerg und
sagte mit so kräftiger Stimme wie möglich: 
„Du brauchst keine Angst zu haben, Herr Zwerg. Ich werde dich beschützen!“ 
Ich merkte augenblicklich, dass ihn das beruhigte, denn er antwortete, wie so oft, mit
einem tiefen Grummeln.
Derweil war Lúthien, die Elfe, zu dem Toten hingelaufen um ihn sich näher anzusehen.
Maroni überlegte gerade laut, ob wir ihm nicht eine Gruft bauen sollten, was mir als eine
ganz ausgezeichnete Idee erschien, als der vermeintlich Tote seine Augen aufschlug. Ich
keuchte vor Erstaunen und wollte flink zu dem Nicht-mehr-Toten laufen, um ihn zu befragen
wie es so war tot zu sein und wie es sich anfühlte nun wieder zu leben. 
Doch bevor ich auch nur zwei Schritte getan hatte, packte mich der Zwerg an meiner Weste
und schleuderte mich mit einem Ruck seiner starken Arme hinter sich.
 
„Pah! Du hinterhältige Blaubrustracke!“, rief ich empört – ich war mir nie sicher, ob der
Zwerg `Blaubrustracke´ als Beschimpfung ansah, aber mir hatte schon immer der Klang
dieses Vogelnamens gefallen und so rutschte er mir im Laufe der Zeit häufiger heraus,
besonders wenn ich aufgeregt war. 
Geschwind rappelte ich mich wieder auf und erklärte lauthals: 
„Nur weil du den Nicht-Toten zuerst entdeckt hast, heißt das noch lange nicht, dass du ihn
als erstes ausfragen darfst!“
Doch in diesem Moment bemerkte ich etwas Merkwürdiges. 
Lúthien hatte ihr Schwert gezogen und versuchte sich gegen den Untoten zu wehren, aber
ihr Nacken sah blutig und irgendwie... zerfetzt aus. 
 
Noch bevor der Untote Lúthien vollständig aufessen konnte, kam Gimdal ihr zu Hilfe und mit
einem starken, gezielten Hieb seiner mächtigen Axt schlug er dem Tot-Lebenden den Kopf
ab.
Danach war der Schrecken gebrochen und der Tote blieb auch tot, aber Lúthien sackte dafür
weniger lebhaft zusammen.
Ab dieser Stelle wird alles sehr verschwommen in meinem Kopf. 
Ich weiß noch, dass ich versucht habe Lúthien zu helfen und, genau wie Thalia das macht, die
Wunde zu nähen. Aber es half nichts. 
Ich habe wirklich alles versucht. 
Und, naja, ich glaube dann ist sie gestorben. Aber zu meiner unendlichen Erleichterung war
Maroni da! 
Maroni.... er sagte, ich konnte nichts dafür und dass sie sich selber in Gefahr gebracht hat.
Dabei tröstete er mich. 
Und dann tat er etwas, dass ich ihm niemals vergessen werde! Ich bin mir nicht sicher, wie er
es machte, aber ich glaube, dass er ein unendlich weiser und wahrhaft begabter Magier sein
muss! Außerdem ist er unser Herrscher, denn das hat er auch gesagt, weil er nämlich auf
einem Turm stand – und er meinte, Herrscher sind immer über den anderen, deshalb sei er
nun auch ein Herrscher. Er beschwor also mit seinem weißen Staub den Tod und verlangte
von ihm die Einlösung seines Paktes, den er mit ihm abgeschlossen hatte. 
Daraufhin diskutierten Maroni und der Tod miteinander und Maroni sagte viele
weise Dinge, die ich wieder vergessen habe. 
Aber zum Schluss stimmte der Tod ein und machte Lúthien wieder lebendig. Also so richtig
lebendig. Ich habe mich so gefreut, dass ich Maroni halb umwarf, als ich ihn umarmte und
selbst der Zwerg grummelte glücklich, als er Lúthien wieder lebendig sah.
Da unsere Gruppe wieder vollständig war, konnten wir nun auch weiter nach dem Schatz
suchen.
Wir beschritten den finsteren Wald immer tiefer und waren so in unsere fröhlichen Lieder
über die Elfe, welche jetzt wieder atmete, vertieft, dass uns kaum auffiel wie selbst der
Himmel sich schwarz und unheilvoll über unseren Köpfen verdunkelte.
Ich weiß nicht, wie lange wir liefen, doch irgendwann wurden wir müde und entschieden
uns, eine Rast einzulegen. 
Während meine Gefährten sich ausruhten, entschied ich mich die Lichtung in deren Nähe wir
lagerten zu untersuchen. Neugierig blickte ich umher und war sehr glücklich, als ich etwas
Interessantes entdeckte. Oder besser gesagt jemanden. 
Am Rande der Lichtung stand eine einfache Frau und lächelte mich freundlich an.
„Mein Name ist Leila Flüsterwind und wer bist du?“, begrüßte ich die Frau freudig. 
Sie ließ nicht ab zu lächeln und ein mulmiges Gefühl beschlich mich.
Ich entschied mich dazu, sicher zu gehen:
„Du bist doch keine böse Hexe, oder?“ 
Die Frau schüttelte lachend den Kopf. Ich biss mir ein wenig enttäuscht auf die Unterlippe,
denn eine Hexe zu treffen wäre sicherlich spannend gewesen.
Trotzdem war ich noch nicht zufrieden mit ihrer Antwort: 
„Und wenn du eine wärst, würdest du mir
dann sagen, bevor du mir wehtun würdest?“
„Aber sicher.“, beteuerte die Frau noch immer lächelnd. 
Ich entschied mich ihr zu glauben, denn ihr Lächeln war wunderschön und warum sollte sie
auch lügen?
Gerade als ich Atem holte, um sie zu fragen, ob sie von dem Schatz gehört habe und uns
vielleicht dorthin bringen könnte, unterbrach mich ein donnerndes Brüllen:  „Elender Kender! Was treibst du da?“
 
Ich drehte mich geschwind um, denn der Zwerg näherte sich aufgebracht. Ich wollte ihn
beruhigen, bevor die Frau Angst vor ihm bekam. 
Ich konnte gerade noch sehen, wie der Zwerg seine Augen aufriss und ansetzte zu einem:
„Vorsicht!“, als mir ein stechender Schmerz durch den Kopf fuhr und Dunkelheit über mir
niederschlug.
Das nächste woran ich mich erinnere ist Maroni, der mich mit sich schleifte.
Mein Kopf schmerzte fürchterlich und mir war schwindelig. 
Doch ein Gedanke schoss mir durch den Kopf.
„Wo ist der Zwerg?! Maroni! Wo ist Gimdal?!“
„Ich weiß nicht. Ich glaube er kämpft mit den Untoten.“, keuchte Maroni.
 Er hatte ganz schön an mir zu zerren. Abrupt blieb ich stehen und schwankte. „
Ich muss ihn retten!“, ließ ich verlauten und war bereits dabei in Richtung der Untoten zu
stolpern.
 Ich hörte Maroni fluchen und schimpfen, doch ich ließ mich nicht beirren. 
Ich musste doch meinem Zwerg helfen!
Und da sah ich sie. Lúthien und Gimdal inmitten einer Horde von Untoten. Sie standen
Rücken an Rücken und kämpften bitterlich, doch ich konnte erkennen, dass der Zwerg
verletzt war.
Hoffnungslos ließ ich den Kopf hängen. 
Dabei fiel mein Blick auf eine Axt. 
Ich kann nicht sagen, wie sie dorthin gekommen war, aber sie war wie ein Lichtstrahl in der
tiefen Nacht. 
Doch die Enttäuschung kam prompt, denn ich konnte die Axt nicht eine Elle von dem Boden
hieven. Ich wollte schon eine andere Lösung suchen, als sich zwei zusätzliche Hände um den
Axtgriff schlossen. Ich blickte hoch und sah direkt in Maronis Augen. 
„Na, komm schon! Wir retten deinen grummeligen Zwerg.“
Mit vereinten Kräften schafften wir es die Axt hochzureißen. 
Mein Kopf schwirrte schmerzhaft, doch ich riss mich zusammen und schwang die Waffe
zusammen mit Maroni in Richtung der Untoten. 
„Hey, ihr stinkenden Heinschnirkelschnecken! Lasst gefälligst den Zwerg in Ruhe!“
 
Maroni und ich hatten gerade den ersten Untoten an den Knien einen Kopf kleiner gehackt,
als ein markerschütterndes Brüllen den Wald erzitterte.
Der Zwerg ging in die Knie, doch schwang er weiter seine Axt. 
Ich konnte nicht erkennen, was ihn zu Fall gebracht hatte, aber der Grund war getränkt mit
Blut. 
Gimdal donnerte wütend: „Flieh, verdammte Elfe! Du wirst nicht auf dem selben
Grund und Boden sterben wie ich, sage ich! Flieh! Ich kämpfe bis zu meinem letzten
Atemzug, verdammt!“ 
Lúthien ergriff die Flucht und schlug sich eine Schneise durch die dunklen Gestalten,
während der Zwerg begraben wurde von Horden von Untoten, die sich auf ihn stürzten.
 
„NEIN! Nicht Gimdal! Ihr...!“ 
Mir fehlten die Worte. 
Ich kannte einfach kein Schimpfwort, das schlimm genug war um diese lebenden Toten zu
beschreiben.  Ohne darüber nachzudenken stürzte ich los, doch Maroni packte mich am Arm und zerrte
mich davon. Ich wollte es nicht wahrhaben.
Der starke, unbrechbare Zwerg! Er konnte nicht tot sein. 
Alles schien verkehrt. 
Diese toten waren lebendig und Gimdal, der mächtige Gimdal sollte tot sein?!
„Nein! Maroni, du musst ihn wiederholen, Maroni! Das kannst du doch! Das hast du doch
auch bei Lúthien getan! Maroni!“, sprudelten die Worte der Verzweiflung aus mir.
Mich hinter sich herschleifend murmelte Maroni: „Das geht nicht mehr, Leila. Ich konnte das
nur einmal tun. Noch einmal geht es nicht.“
 
Ich konnte seine Worte nicht verstehen. Es ergab keinen Sinn. Nichts ergab einen Sinn mehr.
Ich beschloss das Geschehene nicht geschehen lassen zu sein. Ich beschloss, dass Gimdal
nicht tot sein konnte, bis mir ein Beweis dafür gebracht werden würde.
Dieser Beweis kam allzu schnell.
Lúthien brachte die Erinnerung wieder. 
Und mit ihr kam der Schmerz.

 

Kapitel 6

 


Heftige Windböen wirbelten die letzten bräunlichen Blätter zur Seite, während die eisige Winternacht an den Kleidern unserer drei Gefährtinnen zerrte. Seit mehreren Tagen schon, nutzten sie den Unterschlupf einer kleinen valonischen Herberge, um hungrigen Wolfshunden auszuweichen, die die schmalen Wege unsicher und kaum passierbar machten. 

Filly sog die stechende Nachtluft ein und atmete tief durch. Kleine, hauchzarte Wölkchen formten eine beinahe durchsichtige Haube um ihre roten Wangen. Unruhig hüpfte sie im Kreis herum, stieß hier und da einen Stein zur Seite. Sie hatte es drinnen nicht mehr ausgehalten. Eine unerträgliche, förmlich greifbare Spannung webte ein Netz aus Ungeduld und Rastlosigkeit.

Anfänglich hatte es den Mädchen Freude bereitet, in dem alten Haus herum zu stromern, das ein oder andere Geheimnis aufzudecken und den Geschichten von Magistern, Soldaten, Barden und Valonern zu lauschen. Doch mit der Zeit gab es nichts mehr neues zu entdecken. Die Geschichten waren erzählt, die Lieder gesungen. 

Filly fühlte sich eingesperrt. Die ihr angeborene Wanderlust führte sie weiter. Doch man hatte ihr verboten sich von dem Haus zu entfernen und die Soldaten Tiwas bewachten die Umgebung mit eisernem Willen und unerschütterlicher Disziplin. Auch in Leilas und Thalias Augen spiegelte sich die steigende Unruhe wieder. Die schwüle aufgeheizte Luft und der begrenzte Tavernenraum, kamen einem Käfig gleich.  Natürlich wussten die drei Kenderinnen, dass die mit Strenge erzwungene Sicherheit nur ihrem Besten diente, doch brauchen Kender ihre Freiheit, wie die Luft zum Atmen. Wenn die Ungebundenheit, die ihnen ermöglicht ihre Neugierde und Fröhlichkeit auszuleben, hinfort genommen wird, raubt der Drang nach Veränderung und Neuem ihnen bald den Verstand.
Mit jedem Winkel ihres Verstandes, klammerte sich Filly an die Hoffnung auf ein Abenteuer.
Versuchte einen Zipfel Neues zu erhaschen, um der Ruhe aus dem Weg zu gehen.

Da ertönte ein schrecklicher Tumult.
Schreie erklangen, während Lichter die Schatten erhellten. Ein Mann, mit langen zerzausten schwarzen zurückgebundenen Haar, die Kleider zerknautscht und einem Gürtel voller Taschen, stolperte aus der Dunkelheit.

"Haltet den Mann! Elender Verbrecher! Er hat mit Göttersteinen gehandelt! Wir kommen, um ein Gerichtsurteil walten zu lassen! Lasst uns durch!"

Mehrere Tiwaner hielten schreiende Menschen zurück. Sie würden den Mann zerfleischen, wenn nicht bald etwas unternommen würde. Die drei Mädchen halfen der sichtbar erschöpften und dankbaren Gestalt die dunkle Treppe zur Taverne hinauf. Fillys Augen glänzten vor Mitleid. Der arme, freundliche Mann wirkte unschuldig. Er zeigte ihnen seine Steine. Man konnte einen Menschen doch nicht wegen des Handels mit ein paar wunderschön glänzenden, in allen Regenbogenfarben schillernden, winzigen, göttergleichen Steinen verfolgen! Er hatte sie ja nicht einmal gestohlen!

Kurze Zeit später begann das Gericht.
Filly hatte niemals zuvor eine derartige Verhandlung gesehen.
Das schlimmste Urteil, dass in Hylo, der Heimat der Kender, gefällt werden konnte, war der Ausstoß aus der Gemeinschaft.
Hier war es der Tod.

Plötzlich sprang der Angeklagte auf .
Seine Augen funkelten böse und ein schmieriges siegessicheres Lachen schüttelte ihn.
Seine heißere Stimme durchbrach die Ordnung:

"Ich war es nicht! Ich bin unschuldig! Niemals habe ich gehandelt. Diese Steine wurden mir untergejubelt! Wenn ihr den Ursprung allen Übels sucht, dann sucht in eurer Gemeinschaft. Sie waren es! Verbrecher. Durchsucht sie. Und ihr werdet finden! Sie müssen sterben. Nicht ich!"
Der ausgestreckte Finger endete eindeutig bei dem Kendertrio.
Wie konnten sie sich nur so in einem Menschen täuschen.
Filly und Thalia sahen sich an.
Unwillkürlich legten beide die Hände auf ihre Taschen.
Durch den feinen Stoff konnten die beiden Mädchen den Glanz jener göttergleichen, verhängnisvollen Steine spüren.

Nervös rieb sich Filly die juckende Nase, während sich ihre Gedanken in der Unendlichkeit verloren. Niemals zuvor waren sie auf solch schändliche Weiße hereingelegt und beleidigt worden. Selbstgefällig thronte der Händler auf seinem Stuhl. Die schmierigen schwarzen Haare aus dem Gesicht streifend, ein selbstgefälliges Lächeln aus eiskaltem Granit gemeißelt, stach sich sein Blick in die Augen der Kenderinnen.

„Durchsucht sie!“
 
Auch Thalia wippte nun unruhig hin und her. Etwas stimmte nicht. Konnte nicht stimmen.
Fillys Gedanken drehten sich in einem rasanten, unaufhörlichen Kreislauf. Vorsichtig tasteten ihre kleinen Fingerspitzen nach ihrem Gürtel, lösten unauffällig die Fäden einer grünlichen Tasche. Sie war überzeugt, dass es etwas geben musste, dass sie bisher außer Acht gelassen hatte. twas, dass selbst das Schmiergesicht nicht gewusst haben konnte.
Geräuschlos, lies die Kenderin das Säckchen zu Boden gleiten, schob es sanft mit der Ferse unter den breiten Eichentisch.

Mittlerweile überraschte Thalia mit einem umwerfenden Lächeln, während sie ausgewählte Gegenstände auf den Tisch legte und mit äußerster Überzeugung erklärte, ein schreckliches Missverständnis aufklären zu wollen. Leila hielt in diesem Moment glücklicherweiße einmal den Mund. Nach kurzer Zeit, änderte auch Filly ihren trotzigen Blick und zwang sich zu Thalias Vergnügen zu einem gewinnenden Lächeln, während sie mit theatralischer Gestik selbst anfing, jegliche Gegenstände aus Taschen herauszukramen, von deren Besitz sie bis dahin nicht einmal gewusst hatte.

Derweil schrie das Schmiergesicht verzweifelt nach den Soldaten Tiwas, befahl ihnen nach Gerechtigkeit zu suchen. Doch keiner rührte sich. Jetzt war es Filly, welche dem dreckigen Händler unverhohlen provokant ins Gesicht grinste und es wagte, sich stolz aufzurichten. Genüsslich packte die junge Kenderin jeglichen Kram zurück an seinen ursprünglichen Platz.

Sein Schicksal war besiegelt. Die Schwachstelle gefunden.
Jenen Fehler, durch den der Händler sich strafbar gemacht und durch den er bezahlen würde.
Besitz.

Denn während sich jegliche wichtige Persönlichkeiten zur Gerichtsverhandlung begaben, hatten die Göttersteine der drei Mädchen, ganz nach Kendermanier, längst den Besitzer gewechselt. Wunderschön leuchtend, glänzend, schimmernd, fanden sie seit kurzer Zeit ihren Platz in den Taschen jeglicher Soldaten, welche mit unruhigen Blicken beschäftigt den Boden begutachteten.
Es ist nichtig zu erklären, dass diese somit keinerlei Interesse an der Aufdeckung des Mysteriums besaßen.
Als dann noch einige Menschen anfingen, sich für die unschuldigen Kender zu verbürgen und selbst der Kriegsfürst einlenkte, ferner sogar seufzend die Untersuchung unzähliger Taschen aufgab, konnte sich auch Thalia ein schelmisches Grinsen nicht mehr verkneifen.
Die beiden Kenderinnen hofften nur inständig, dass Leila den Mund halten würde.
Doch diese verstand die Situation zum Glück nicht und schwieg.

„Schuldig.“


Das Urteil war gefällt. Männer zerrten das Schmiergesicht an den Armen hinaus in die Dunkelheit.
Dumpf hallte das Krachen in den Ohren des Kendertrios wieder, während die schwere Tür in die Angeln fiel.

Die Blicke der Mädchen trafen sich.

Diesmal würden sie nicht helfen.

Schreie ertönten.

Nicht helfen.

Schreie.

Blicke.

Stille.


So hört meinen Rat liebe Freunde. Hört gut zu.
Klagt niemals einen Kender des Diebstahls an.
Es könnte böse ausgehen.
Ich weiß es.
Ich war dabei.

 

 

Kapitel 7

 


http://www.youtube.com/watch?v=Tjq0X6VWIvk&feature=related (hintendran abspielen lassen)

Nächtliche Stille legte sich über die hölzerne Taverne, während das herunterlaufende Wachs der sterbenden Kerzen den Lauf der Zeit verlangsamte.
Die Laute spielte ihr letztes Lied, wiegte das heruntergebrannte Kaminfeuer mit sanften Tönen in den Schlaf.
In einer schäbigen Ecke saß Xantaph, ein junger freundlicher Magiernovize.
Das Gesicht auf die Hände gestützt schrieb er, verschüttete dabei die Tinte, sodass diese dunklen, schwarzen Regentropfen gleich auf das alte kostbare Pergament tropften. Sanft durchtränkten sie das Papier und hinterließen kleine, zaghafte Schicksalslinien in den Händen des Novizen.
Filly seufzte. Er musste eingenickt sein.
Gelangweilt zeichnete die junge Kenderin kleine farblose Kringel in die beschlagenen Fensterscheiben, spähte in den düsteren Innenhof hinaus. Es war kaum etwas zu erkennen. Nicht einmal die Schemen der Bäume, oder des Mondes, wollten in dieser wolkenverhangenen Nacht, einer winzigen Freiheit gleich,  ihr Blickfeld erfreuen. Hier war es nicht mehr auszuhalten.
Viel zu lange schon, waren sie an diesem einen Ort gefangen.
Wolfsartige Wesen und die Kälte, ließen die Wege zu grenzenlosen Hindernissen erscheinen, und doch drängte es die Mädchen weiter, wie Zugvögel, deren angeborener Trieb sie jedes Jahr dem Süden entgegenführt. Filly runzelte die Stirn, lies ihre Finger langsam durch ihr langes Haar gleiten.
Gerade überlegte sie sich, ob sie Thalia zu Hilfe kommen sollte, die mit ab und an schüttelndem Kopf, über einem großen Stapel von Landkarten saß und lautstark mit dem Wirt über den Sinn und Unsinn der Karten Valons und der ihren diskutierte, als ein kleiner dicker Zwerg, mürrisch den letzten Tropfen kostbaren Honigweins leerte, und den Humpfen mit einem dumpfen Geräusch auf den Tisch krachen lies.
Filly seufzte. Sie fühlte sich an ihren toten Freund Gimdal erinnert. Und auch, wenn sie es nie zugeben würde, sie vermisste ihn schrecklich.
Die hölzerne Eingangstür wurde noch immer von Soldaten streng bewacht, welche mit eisernem Willen ihren Befehlen folgten. 
Thalias Diskussion mit dem Wirt, hatte sich nun in einen lautstarken Streit über Sinn und Unsinn von Karten  im allgemeinen ausgeweitet.
Filly konnte sich ein liebevolles Schmunzeln nicht verkneifen. In all den Jahren, hatte sie ihre beiden Begleiterinnen kennen und lieben gelernt und Leila und Thalia waren ihr ans Herz gewachsen, wie niemand anderes.  Gekonnt warf sie ihren langen Zopf über die Schulter, rückte sorgsam die letzten Strähnen zurecht. Wo sich Leila nur gerade aufhielt? Vor einigen Stunden noch nach Rätseln suchend durchs Haus tigernd, schien sie nun  selbst auf geheimnisvolle Art und Weiße verschwunden zu sein.  Vielleicht hatte sie etwas interessantes gefunden oder mitbekommen. Filly schnappte sich kurzerhand die verdutzte Thalia und schon bald, durchkämmten die beiden jegliche Ecken und Nischen des alten Hauses.

Doch Leila war und blieb verschwunden.
Langsam durchtränkte die Sorge die Mädchen, fraß sich bis unter das Herz und hinterließ einen kleinen, doch deutlichen Schatten.
Filly musterte die starren, aufmerksamen Gesichter der Wachen.
War es möglich?
Konnte sich Leila, ohne ein Wort zu sagen, an den Soldaten vorbeigeschlichen und auf eigene Faust ohne sie weitergezogen sein? 
Ein verletzender Stich fuhr der Kenderin in den Magen. 
Für kurze Zeit schmeckte Filly den sauren Beigeschmack der Eifersucht auf der Zunge.
Sie würde es herausfinden.
Um ihrer aller Willen.

In einem geeigneten Moment, schlüpten die kleinen Mädchen an den Wachen vorbei, hinaus in die kalte Winterluft.

 


Dunkelheit hüllte die Mädchen in eine trügerische Sicherheit. Sie wussten, dass ihr Leben nun einem Spielball gleich in den Armen der Götter lag.
Doch selbst dass, konnte sie nicht davon abhalten den Tribut der Freundschaft zu zahlen und jene tapfere, fröhliche Kenderin zu suchen, die den zwei Mädchen mit ihrem Glauben an das Gute, die Lebensfreude zurück geschenkt hatte.
Langsam gewöhnten sich die Augen von Filly und Thalia an die Dunkelheit.
Aus verschwommenen, menschlichen Schemen wurden Bäume, aus eckigen Abgrenzungen eine alte, hölzerne Alchimistenhütte und aus dem davorliegenden, steinernen Podest, ein kleiner, lebloser Mädchenkörper.

Leila.

Filly begann zu schreien. Rannte, während der Spiegel der Erinnerungen in hauchfeine Glassplitter zerbrach und der Kenderin mit einem heißem Eisen unter die Haut stach.

Leila.

Kalt wie Granit, die toten Augen erloschen gen Himmel gerichtet, glich die junge Kenderin einem leblosen Tier, welche verzweifelt nach einem Ausweg gesucht, doch stattdessen im Angesicht des Todes das Grauen gefunden hatte.

Leila.

Schwarze Tintentropfen zahlloser Federn entflossen der schlaffen Silhouette.
Filly prallte zurück.
Federn, schwarze, nicht endlose Federn.
ES hatte sie getötet.
Der Schatten in den Nächten der Kenderin.
Der Grund schweißgebadeter Nächte.
Blutige, aufgerissene Augen.
Ein Zwerg, der fällt. Ein Freund, der geht. Eine Fratze, die lacht.
„Die Vögel sehen dich, Filly“

Heißere, krächzende Stimmen ließen das Mädchen in die Knie brechen. Vögel, überall Vögel. Die Kenderin packte einen Stein.  Schluchzend versucht sie die Biester zu vertreiben, nur um sie im nächsten Moment an anderer Stelle hervorbrechen zu sehen.  Genüsslich weideten sie sich an dem Aas Leilas.
Thalia schien die Biester nicht wahrzunehmen. Konnte sie sie nicht sehen?
Stattdessen schrie sie um Hilfe.
Rannte, um einen toten Körper zu retten.

Filly rollte sich auf dem harten Steinboden zusammen.
Wie ein Kind, schutzlos nach Geborgenheit suchend, versanken ihre Gedanken in einer vergangenen, unerreichbaren Wirklichkeit.
Die steifgefrorenen Hände auf ihre Ohren gepresst, die Augen verzweifelt zusammengekniffen, verschloss sie sich dem Schmerz der Gegenwart.


http://www.youtube.com/watch?v=hCpFeE68Yjg&feature=related (hintendran abspielen lassen)

Wie einfach alles damals gewesen war. Blauer Himmel, grasgrüne Hügel.
Ein großes, rötliches Haus neben dem Kartoffelfeld, am Rande der Stadt. Ein mit grünlichen Schnörkeln verzierter Türrahmen, fern von alldem Trubel. Sanfter, süßlicher Geruch nach frisch gebackenen Kartoffelkuchen. Warme goldene Sonnenstrahlen, tänzelten durch die Fensterscheibe, kitzelten das Gesicht der Kenderin.
Das heitere, lebensfrohe Lachen ihres Großvaters, schallte in ihren Gedanken und erfüllte den Raum, während er die kleine Filly stolz auf seinen Schoß hob. Trotz seines Alters, schien er auf undenkbare Weiße junggeblieben zu sein, die wässrigen Augen von zahlreichen Lachfalten umrandet. Ein uralter, abgenutzter Hoopak, seines Zeichens Wanderstock und Waffe vieler erfahrener Kender,  diente ihm schon lange als Stütze.
„Meine Filly, was wirst du noch alles erleben.
Die kühnsten Abenteuer, reißende Flüsse und finstere Geheimnisse. Und vielleicht, wirst du eines Tages den Horizont erreichen.
Rieche für mich die frische Nordluft und lasse das Ende der Welt durch deine Finger gleiten, damit der Wind mir bei deiner Rückkehr die schönsten Erinnerungen zuflüstert.
Doch eines darfst du dabei nicht vergessen, meine Kleine.
Deine Hände sind wichtig, deine Haare noch mehr.“
 
Die alte faltige Hand streifte liebevoll ihr Gesicht, gab ihr einen kleinen Stups auf die Nase und deutete dann zitternd auf ihre Brust.

„Aber das, mein Kind, ist am wichtigsten. Lebe mit Vertrauen,  denn solange du Freunde mit der Reinheit des Herzens lieben kannst, kannst du dir sicher sein, dass sie immer zu dir zurückkehren werden. Auf dem ein oder anderen Weg.
Diese Hoffnung darfst du dir von niemandem stehlen lassen.“
 
Er streichelte ihr sanft über das Haupthaar.

„Aber Großvater… wie soll das gehen? Tote können doch nicht zurückkehren, oder?“
 Jemand packte sie unter den Armen, zog sie hoch.


(Musik hier abbrechen)

Das Bild zerstob in der kalten Nachtluft, fegte der jungen Kenderin die zerzausten Haare aus dem Gesicht und ließ ihre Tränen zu einer feinen kristallinen Eisschicht erstarren.
Die Vögel verschwanden.
Die Federn blieben.
Wie ein schwarzes Leichentuch säumten sie den toten Körper Leilas, der in dem dämmerhaften Licht einer Porzellanpuppe gleich, in den Armen der Masse davongetragen wurde.


 


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